Die vier edlen Wahrheiten der modernen Gesellschaft
von Santikaro Bhikkhu
Dieser Vortrag wurde gehalten auf der INEB-Konferenz "Dhammagemäße Gesellschaft - das Internationale Netzwerk Engagierter Buddhisten entdeckt seine Aufgabe" (Dhammic Society: Towards an INEB Vision). Sie fand im Frühjahr 1995 in einem thailändischen Kloster statt.
Die deutsche Fassung erschien erstmals in dem Buch: Wege zu einer gerechten Gesellschaft, Beiträge engagierter Buddhisten zu einer internationalen Debatte. Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg 1996.
Als Mitveranstalter dieses Symposions kann ich Ihnen nicht gut für die Ehre meines Hierseins danken. Außerdem gilt meine Anwesenheit auch der Ehre des verstorbenen Buddhadasa Bhikkhu [im Thai steht bhikkhu/Mönch hinter dem Namen]. Jedenfalls kann ich aber meine Freude darüber ausdrücken, daß dieses Symposion mit der Hilfe vieler Freunde zustande gekommen ist. Wir fühlen uns geehrt durch die Reaktion und das Interesse. Mögen wir hier gemeinsam etwas von bleibendem Wert erarbeiten.1)
In diesem Beitrag möchte ich gewisse allgemeine Prinzipien der "Buddha-Lehre" (Buddha-Dhamma) und Gesellschaft erörtern, die der ehrwürdige Buddhadasa Bhikkhu über Jahre hinweg thematisiert hat. Da er einer der ursprünglichen Schirmherren des Internationalen Netzwerks Engagierter Buddhisten (International Network of Engaged Buddhists, INEB) ist, wollen wir gern seine Vorstellungen in dieses Symposion einbringen. So beruht also dieser Beitrag auf den Überlegungen des ehrwürdigen Buddhadasa Bhikkhu, so weit und so gut der Verfasser sie eben verstanden hat. Ich werde jedoch von seinen Gedanken ausgehend auch einiges ausführlicher darstellen, als er es öffentlich getan hat. Der Beitrag wird also zunächst die grundlegenden Vorstellungen Achan Buddhadasas zu einem im Dhamma begründeten Sozialismus (Dhammic Socialism), also einem Dhamma-Sozialismus darlegen. Im Fortgang werde ich dann ausführlich entsprechend meinem eigenen Verständnis und meiner Erfahrung auf einzelnes eingehen. 2)
Achan Buddhadasa bezeichnete die Grundsätze, die hier diskutiert werden sollen, als "Dhamma-Sozialismus". Diesen Begriff hat er in den beiden letzten Jahrzehnten seines Lebens wiederholt gebraucht. Jedenfalls hat er das Prinzip bereits diskutiert, lange bevor diese Bezeichnung entstand. Manche der Ideen reichen sogar mindestens zu einer Rede aus dem Jahre 1954 zurück, nämlich "Buddha-Dhamma und der Geist der Demokratie". Außerdem hätte Ehrwürden Achan selber gesagt, daß diese Ideen bereits in der im Pali Tipitaka überlieferten ursprünglichen Lehre des Buddha enthalten sind. Der Einfachheit halber werde ich die Bezeichnung "Dhamma-Sozialismus" gebrauchen, um die Grundideen zu umfassen, die seine Vision einer Dhamma-Gesellschaft ausmachen ( "Dhammic Society ") [also eine Gesellschaft, die auf die Verwirklichung des Dhamma gegründet ist]. 3)
Teil 1Die Grundstruktur der 'Vier Edlen Wahrheiten' Grundlage dieser Abhandlung sind die "Vier Edlen Wahrheiten" [vgl. Glossar]. Dem Denken Achan Buddhadasas lagen diese stets zugrunde, und genauso möchte ich es hier auch halten. Das ist aus verschiedenen Gründen nützlich für uns. Erstens hält es uns bei der Sache, und wir haben das Ziel des Buddhismus vor Augen - das Ende von "Leiden" (dukkha, künftig wiedergegeben als "Leiden"). Die ständige Ausrichtung auf die wahre Aufgabe des Buddhismus wird uns vor der Ablenkung durch zweitrangige Ziele bewahren. Letzteres ist leider auch unter engagierten Buddhisten eine allgemeine Erscheinung.
Zweitens sind die "Vier Edlen Wahrheiten" ein Lehrinhalt, den der Buddha selber wiederholt voller schöpferischer Kraft ausführlich dargelegt hat. Wenn wir also diesen Ansatz wählen, dann gehen wir von der Grundlage des Denkens, der Erfahrung und der Lehre des Buddha selber aus. Außerdem ist der Rahmen der "Vier Edlen Wahrheiten" vollkommen und umfassend. Er behandelt die Hauptgesichtspunkte aller nur denkbaren Situationen, Probleme oder Tatsachen, denen wir begegnen, so wie wir hier beispielsweise über die Schaffung einer dhammagemäßen Gesellschaft diskutieren. Letztlich sind sie ein vernünftiger Rahmen, innerhalb dessen wir mit der gebotenen Tiefe und Ausführlichkeit nachdenken, untersuchen und analysieren können. Deshalb werden die "Vier Edlen Wahrheiten" der Rahmen meines Vortrags sein.
Obwohl alle Buddhisten mit dieser Lehre vertraut sind, wird es doch manchen von uns nützlich sein, unsere Gedanken dazu neu zu erwägen und neue Anwendungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Achan Buddhadasa hat von den "Vier Edlen Wahrheiten" oft als von dem buddhistischen Weg der Problemlösung gesprochen. Dabei hat er sie leicht umformuliert und in Frageform gebracht:
Um welches Problem geht es?
Woher rührt es?
Was ist sein Zweck oder Ziel?
Wie bewerkstelligen wir das?
Die "Erste Edle Wahrheit" lenkt uns auf das Problem [die Wahrheit vom Leiden]. Es gibt eine Aufgabe, und unsere Pflicht als Menschen und als engagierte Buddhisten ruft uns dazu auf, uns ihr zuzuwenden. Zweitens entsteht jedes Problem durch Ursachen und Bedingungen. Diese müssen erforscht und verstanden werden, damit wir das Problem lösen können. Drittens hat das Problem ein Ende. Es gibt einen Zustand oder eine Wirklichkeit, da das Problem nicht mehr existiert. Achan Buddhadasa hat davon manchmal als von dem Zweck des Problems gesprochen. Der Zweck von "Leiden" ist beispielsweise, uns auf den Zustand oder die Wirklichkeit hinzuweisen, wo kein "Leiden" ist, und das ist "Verlöschen" (Nibbana). Und viertens ist da die Problemlösung, nämlich die praktischen Schritte, die wir in Tat, Wort und Geist unternehmen müssen, um die Ursachen des Problems zu beseitigen und so sein Ende zu verwirklichen.
Die vier Fragen in Pluralform sind dann ein zweckmäßiger Rahmen zur Erforschung gesellschaftlicher Tatsachen:
Um welche Probleme geht es?
Woher rühren sie?
Was ist ihr Zweck oder Ziel?
Wie erreichen oder verwirklichen wir das?
Mit diesem Muster sind die meisten Buddhisten zwar vertraut, aber es besteht eine allgemeine Neigung zur Verzerrung. Manche personalisieren es zu sehr, andere abstrahieren oder verallgemeinern es übermäßig. Dem entgegen werde ich ein paar Anregungen geben, die uns helfen sollen, die "Vier Edlen Wahrheiten" richtig anzuwenden.
In der Ursprungsfassung dieser Wahrheiten sprach der Buddha weder von "meinem "Leiden" (dukkha) noch von "deinem "Leiden". Er redete einfach von "Leiden" - es gibt "Leiden". Es ist wichtig, daß wir uns dieser Tatsache bewußt sind und die "Vier Edlen Wahrheiten" nicht übermäßig personalisieren, so daß sie nicht lediglich eine Angelegenheit "meines "Leidens" und des Loswerdens "meines "Leidens" werden. Viele Buddhisten sind schon in diese Falle gegangen, und darum sind so viele von ihnen unbekümmert um das unsägliche "Leiden", das sie in der Welt umgibt. Diese Beobachtung trägt zur Erklärung bei, warum viele sogenannte Buddhisten sich einfach in sich selbst zurückziehen, ohne sich verantwortlich an gemeinschaftlichen Bemühungen zu beteiligen, die das "Leiden" der Gesellschaft auflösen sollen.
Andererseits gibt es viele - die "Wohltäter" - die sich sehr darum bemühen, andere von ihrem "Leiden" zu befreien. Wir finden solche Leute häufig in den Reihen der Aktivisten. Sie sind so sehr um das "Leiden" anderer besorgt, daß sie das "Leiden" in sich selber nicht mehr sehen können. Wir müssen also auch die Falle des "dein "Leiden" und "ihr "Leiden" vermeiden. Es verwirrt uns nur, wenn wir glauben, daß "Leiden" abgetrennt und aufgesplittert werden kann. Wir wollen versuchen, ein solches Durcheinander zu vermeiden.
Das "Fahrzeug des Buddha" (Buddhayana) In ähnlicher Weise müssen wir die Beschränkung des "Hinayana" (Kleines Fahrzeug) und die Überheblichkeit des "Mahayana" (Großes Fahrzeug) meiden. Enges "Hinayana"-Denken ist nur um die persönliche oder individuelle Befreiung bemüht. Das war aber eindeutig nicht das Ziel des Buddha. Beim Studium der Pali-Schriften der Theravada-Überlieferung wird offensichtlich, daß den Buddha vom Tage seines Auszugs [aus dem behausten Leben] an stets das "Leiden" aller Wesen interessiert hat, nämlich sein eigenes "Leiden" und das "Leiden" derer um ihn herum.
Andererseits müssen wir die Überheblichkeit des sogenannten "Mahayana"-Standpunktes vermeiden, nämlich "ich werde das "Leiden" anderer auflösen". Unter dieser Täuschung läuft eine Reihe von "Einzelmönch-Shows". Der Gedanke oder der Anspruch, man wäre irgendwie für die Befreiung aller Wesen verantwortlich, ist eine übertriebene Haltung. Auch würde das wohl manche zu törichtem Aufgeben veranlassen, wenn ihnen klar wird, daß niemand das alles allein tun kann. Stattdessen möchte ich empfehlen, daß wir dem Pfad des "Buddhayana" folgen [also: "Fahrzeug des Buddha"].
Buddhayana unterscheidet nicht ausdrücklich zwischen "meinem "Leiden", "deinem "Leiden" und "ihrem "Leiden". Vielmehr sucht Buddhayana das "Leiden" zu löschen und auszuschalten, wo immer es auftritt. Buddhayana geht nicht von der Annahme aus, die Probleme anderer lösen zu können, will aber anderen dienen, sie unterstützen und ihnen bei der Lösung ihrer Probleme helfen. Buddhayana wirkt auf der Ebene von Partnern und "geistlichen Freunden" (kalyana-mitta). Zweitens erkennt Buddhayana an, daß wir uns mit den eigentlichen Ursachen befassen müssen, um "Leiden" zu beenden und die Probleme zu lösen. Wir müssen sorgfältig und genau nachforschen, bis wir uns über die Grundursachen unseres inneren und äußeren "Leidens" klar sind, über unsere persönlichen und gemeinsamen Probleme. Wir können uns nicht länger mit einer oberflächlichen Analyse zufriedengeben, die sowohl gesellschaftlichen Aktivismus als auch einen Großteil der religiösen Praxis beherrscht haben.
Drittens beruht Buddhayana auf den sich ergänzenden Prinzipien von "miteinanderin Beziehung stehen" (idappaccayata) und "Leerheit" (sunnata). Das Miteinander-in-Beziehung-stehen ist die Tatsache, daß alle dhammas, das heißt alle "Phänomene", durch andere Phänomene bedingt sind und damit durch ein unendliches Geflecht aus Miteinandersein und durcheinander Bedingtsein verbunden sind und zusammenhängen. Wenn es dieses ausgedehnte Netz der gegenseitigen Abhängigkeit gibt, dann kann es kein einziges Wesen oder Selbst geben, das unabhängig und durch sich selbst existiert. Die Wirklichkeit von Leerheit ist die: in einem voneinander abhängigen, gegenseitig sich bedingenden Universum wie diesem gibt es kein unabhängiges Wesen oder Selbst. Auf dieser Erkenntnis beruht Buddhayana. Aus einem solchen Blickwinkel heraus muß dualistisches Denken fallengelassen werden - nämlich allzu sehr unterscheiden zwischen "meinem "Leiden" und "deinem "Leiden", oder zwischen Hilfe für mich und Hilfe für andere.
Dieses Doppelprinzip von "miteinander in Beziehung stehen" (idappaccayata) und "Leerheit" (sunnata) wird sich ebenso wie der Rahmen der "Vier Edlen Wahrheiten" durch diese Abhandlung ziehen; sonst wäre sie nicht wirklich buddhistisch.
Buddhisten und Probleme An dieser Stelle könnten wir über die rechte Art nachdenken, wie Buddhisten gesellschaftliche Aufgaben erkennen, sich darauf konzentrieren und sie debattieren. Ich selber verfange mich häufig in den Problemen. Ich verliere den klaren Durchblick, wenn ich über gesellschaftliche Fragen nachdenke. Anhand meiner eigenen Fehler möchte ich gern vorläufige Empfehlungen geben in der Hoffnung, daß anwesende Freunde sie korrigieren und erweitern.
Die gesellschaftlichen Erscheinungsformen von "Leiden"(dukkha) Ich möchte mich weiterhin mit den "Vier Edlen Wahrheiten" befassen, insoweit sie für eine Vision von einer dhammagemäßen Gesellschaft von Bedeutung sind. Ich werde hier nicht im einzelnen auf die inneren Ursachen von dukkha [künftig "Leiden"] eingehen, obwohl sie von Zeit zu Zeit berührt werden. Unser Blick richtet sich vielmehr auf das gesellschaftliche "Leiden", die Ursachen für soziales oder kollektives "Leiden", auf diese sogenannte dhammagemäße Gesellschaft, in der "Leiden" ausgeschaltet oder zumindest reduziert ist; und schließlich auf den Pfad, den wir zusammen gehen können, um die dhammagemäße Gesellschaft zu verwirklichen. Achan Buddhadasa hat das "Dhamma-Sozialismus" genannt.
Bevor wir die erste "Gesellschaftliche Edle Wahrheit" untersuchen, möchte ich kurz einige der vielen Formen von gesellschaftlichem "Leiden" betrachten. In der Annahme, daß alle Anwesenden ziemlich vertraut mit diesen Problemen sind, werde ich nicht in die Einzelheiten gehen. Wir müssen aber doch zumindest die Vielfältigkeit von "Leiden" andeuten, bevor wir uns an die Ursachen machen. Dabei wird offensichtlich werden, wie die verschiedenen Erscheinungsformen von "Leiden" "miteinander in Beziehung stehen" (idappaccayata).
Bei dieser ganzen Debatte dürfen wir nie vergessen, daß die sogenannten "sozialen Probleme" nicht von dem abgetrennt werden können, was wir vielleicht "persönliches Leiden" nennen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem "Leiden", das sich in uns als Individuen zeigt und das die gemeinsamen Probleme unserer Gesellschaft festigt und mitschafft, und andererseits den Strukturen in der Gesellschaft, die diese gemeinsamen Probleme befestigen. All dies zusammen beeinflußt uns vielfach und trägt damit zu dem persönlichen oder inneren "Leiden" bei, das uns plagt. Wegen der Themenstellung dieses Vortrags werden wir hauptsächlich von gesellschaftlichem "Leiden" reden. Damit unterstellen wir jedoch nicht, daß dieses verbreiteter oder wichtiger ist als das "Leiden" einzelner.
Eines der Problemfelder kann unter den Stichworten Ethik, Werte und Kultur zusammengefaßt werden. Die Ideologie des Konsums hat Vorrang und überrollt die Welt. Die Menschen verlassen sich nicht mehr auf ihre eigene Weisheit, Kultur und Erfahrung, sondern sie suchen Vergnügen und Glück in materiellen Dingen, die von der Konsumkultur hergestellt und angepriesen werden. Dadurch wird der Zusammenbruch der Gemeinschaft hervorgerufen. Einzelne Familien sind heute vor allem auf ihre eigenen Bedürfnisse und die Aneignung von Bedarfsgütern ausgerichtet. Daher zeigen sie weniger Bereitschaft, Zeit und Mühe in die Erhaltung von Bindungen und Verantwortung einzubringen, die die Gemeinschaft erhalten und fördern.
Wir finden also den Zusammenbruch der Gemeinschaft als Folge der Ausbreitung von Industrialisierung und der Ideologie des Konsums. Der Verfall hört aber damit nicht auf. Er setzt sich nicht nur zwischen Familien, sondern auch innerhalb von Familien fort. Das geschieht immer dann, wenn die Ebene derIndividualität Übermacht gewinnt und zum Zwang wird, wenn die Bande der Familie nicht mehr oder höchstens in ganz oberflächlicher Weise gepflegt werden. Diese in ihrer Überindividualität gefangenen Individuen der modernen Gesellschaft sind aber nicht nur ihren Familien und Gemeinschaften, sondern sogar dem eigenen Körper zunehmend entfremdet.
Durch die überhebliche Annahme, daß wir die Natur besitzen und beherrschen können, sind wir der natürlichen Welt entfremdet, aus der wir kommen und der wir nicht entfliehen können. Diese gedankliche, gefühlsmäßige und spirituelle Entfremdung hat ungeheure Umweltprobleme hervorgerufen, wie Überbevölkerung, Verschmutzung, das Fehlen naturbelassener und unberührter Gebiete, Verschandelung und Verlust der Artenvielfalt. Dazu gehört eine Weltsicht, die die Dinge nur auf ihren unmittelbaren Nutzen oder ihren materiellen Wert hin betrachtet - und häufig ganz einfach als Geldwert, wie zum Beispiel ein Wald lediglich als bestimmte Menge Festmeter Holz oder als Dollarwert gesehen wird. Menschen werden zu "Verbrauchern", das heißt, ihre Bedeutung entspricht ihrer Zahlungskraft, nämlich der Höhe des Profits, der aus ihnen gezogen werden kann. Aufgrund dieser Entmenschlichung sind wir auch spirituell entfremdet. Dieses ungeheure Problem zeigt sich heute im Zusammenbruch von Religion und Sittlichkeit, auch innerhalb des Buddhismus.
In diesen Problemkreis gehört auch die pädagogische Unfähigkeit, menschliche, sittliche und religiöse Werte zu vermitteln. Der gedankenlose, oft brutale Unfug, bar jeder menschlichen Qualität, der die Fernsehkanäle überflutet; der Mangel an Durchsichtigkeit, Ehrlichkeit, Verläßlichkeit und Führung in der Politik; die große Zahl von Menschen, die riesige Geldsummen auf den Finanzmärkten verdienen, ohne irgendetwas zum Wohle der Menschheit herzustellen, während sie gleichzeitig ungeheure Ressourcen binden durch Spekulationen mit Aktien, Optionen, Obligationen, Warentermingeschäften und anderen sogenannten Investmentformen; der Völkermord an Urbevölkerungen weltweit; die Ungerechtigkeit zwischen Männern und Frauen und noch vieles andere. Das sind einige der Probleme, über die wir reden könnten. Ich will nicht mehr Zeit darauf verwenden, da wir hier ja alle ganz vertraut mit diesen Dingen sind.
Strukturen der Selbstsucht Ich glaube, daß die tiefgründigen und ausführlichen buddhistischen Lehren über das "Selbst" (atta), die "Befleckung" (kilesa), das "Anhaften" (upadana) und über die anderen Ursachen von "Leiden" ein Werkzeug für die Menscheit sind, um aus ihrem Schlamassel herauszukommen. Lassen Sie uns also diese Lehren auf die Entstehung sozialer Probleme anwenden, auf die vielen Formen von gesellschaftlichem "Leiden". Ich werde versuchen, das hier aus dem Blickwinkel zu tun, den Achan Buddhadasa eingenommen hat.
Wir können die Ursachen und das Entstehen von gesellschaftlichem "Leiden" aus dem einfachen Blickwinkel der Selbstsucht untersuchen. Wenn wir unser persönliches "Leiden" unter Verwendung des Prinzips vom "bedingten Entstehen" (paticca-samuppada) analysieren, dann erkennen wir, daß es ganz und gar mit unserer eigenen Selbstbezogenheit oder Selbstsucht gekoppelt ist. Ebenso finden wir bei der Untersuchung sozialer Probleme, daß sie in gesellschaftlicher Selbstsucht verankert sind.
Ich nenne das "Strukturen der Selbstsucht". Selbstsucht bedeutet hier das alles übersteigende Befassen mit dem eigenen Selbst, der Familie, der Gruppe (Firma, Klasse, Religion, Rasse, Nationalität, Sportverein), so daß man die Bedürfnisse und das Wohlergehen anderer nicht wahrnimmt. Wenn die Selbstsucht überhandnimmt, kann es sogar zu bewußter Schädigung anderer kommen. In buddhistischer Analyse kommt solche Selbstsucht von "Begehren" (tanha) und "Anhaften" (upadana) an diesem "Begehren", also daher, daß es da ein "Ich" oder "Selbst" gibt, das begehrt. Daraus entstehen die Identifikationen und egoistischen Zustände des Geistes, um die herum sich unsere Selbstsucht bildet.
Diese "ursächliche Verknüpfung" geschieht nicht nur auf persönlicher Ebene, sondern auch allgemein, da gewisse Formen des "Begehrens" in unserer Gesellschaft immer verbreiteter auftreten. Bestimmte Neigungen sind in unsere sozialen Strukturen eingebaut. Wir haben bestimmte Übereinstimmungen in der Hautfarbe, der Sprache, Religion, Geschichte, Weltanschauung und anderem. Wir bilden ein gemeinsames Selbstbewußtsein und sind gemeinsam selbstsüchtig, was dann manchmal "nationales Interesse" genannt wird (oder Klassen- oder sonstwas-Interesse). Dies wiederum bringt "Strukturen der Selbstsucht" hervor, von denen ich einigen hier nachgehen möchte.
Eine ungefähre Entsprechung zu dem Wort "Selbstsucht" ist der Pali-Begriff kilesa ("Befleckung", das, was den Geist befleckt oder verdirbt). Wir können uns daher die grundlegenden Befleckungen vornehmen, die wir in der buddhistischen Praxis erforschen und ausmerzen wollen, und wir können sie dazu benutzen, bestimmte soziale Strukturen zu untersuchen. Das gibt uns ein einfaches, jedoch wirkungsvolles Instrument an die Hand, eines, das auf Sittlichkeit und Spiritualität beruht. 4) [Die grundlegende Befleckung ist Gier-Haß und Verblendung, lobha-dosa, moha.]
"Gier" (lobha): Kapitalismus und die Ideologie des Konsums Wir wollen nun die Gier betrachten. Wo sie in einer sozialen Struktur verankert ist, endet das in etwa beim Kapitalismus. Namhafte Vertreter der Kapitalismustheorie behaupten ganz unverfroren, Gier sei gut und notwendig. Damit ist Kapitalismus lediglich eine andere Bezeichnung für institutionalisierte, in Strukturen gegossene Gier. Wenn uns als Kindern die kapitalistische Lebensweise beigebracht wird, dann lernen wir, habsüchtig und ehrgeizig zu sein, also selbstsüchtig. Daraus folgt, daß die Gier, die sich normalerweise in jedem Menschen entwickelt, durch das Gefüge der uns umgebenden Gier verstärkt wird. Dadurch wird das Problem im Persönlichen und Gesellschaftlichen noch hartnäckiger. Das gilt weltweit, seitdem jetzt der Kapitalismus das herrschende wirtschaftliche System geworden ist. Auch die sogenannten "Sozialistischen Länder" übernehmen jetzt kapitalistische Mechanismen.
Der moderne Kapitalismus, insbesondere seit dem Zweiten Weltkrieg und der "Entwicklungsära", hat die systemische Gier noch einen Schritt vorangetrieben und damit die Ideologie des Konsums, den Konsumismus erzeugt. Hier wird die Rolle des privaten Eigentums noch gewichtiger. Während eine winzige Elite ihren Zugriff auf das Kapital einer Gesellschaft und die Produktionsmittel behauptet, wird die Mehrheit durch diese Struktur der Gier zu zwanghafter Anhäufung von "Gütern" (sind sie denn gut?) verleitet, im Trachten nach "sinnlichem Vergnügen" (kama) und Sicherheit. Weil sie so viel Plunder besitzen dürfen, merken sie gar nicht, daß jemand anderem die Gesellschaft gehört. Es kommt sogar oft vor, daß sie selber der Besitz von jemandem sind.
Der Tourismus schließlich verkauft Kulturen, Künste, Speisen, die Umwelt und Menschen in der ganzen Welt als Gebrauchsgüter für den Konsum. All dies sind nicht mehr Ressourcen, allen zugänglich für Wohlergehen, Verständnis,Zusammenhalt, Glück und Frieden, sondern es wird aufgekauft, zerstückelt und vermarktet. Den Ortsansässigen wird nicht einmal zugetraut, daß sie solche wichtigen Ressourcen verwalten können. Sie läßt man lediglich die Wäsche waschen, servieren, Taxi fahren und "Kultur-Shows" nach dem Geschmack der Tourismuskonsumenten vortragen.
In einem solchen System genügt es nicht, wenn einzelne Buddhisten die Ausmerzung der Gier für sich persönlich anstreben. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, die Struktur der Gier in ein System der "Nicht-Gier" (alobha) umzuwandeln. Es ist durchaus möglich, daß ein paar herausragende einzelne die Gier in sich selber ausschalten können. Sie würden jedoch auch weiterhin an einer Gesellschaft teilhaben und von ihr abhängen, die strukturell voller Gier ist. Wir anderen aber, die wir keine spirituellen Superstars sind, werden von der uns umgebenden Gier gerüttelt, verhext und manipuliert. Es wird uns sehr schwerfallen, das auszuschalten. Wir müssen es natürlich versuchen, aber wir könnten uns auch dafür einsetzen, uns selber, unseren Freunden und späteren Generationen diese Schwierigkeiten zu ersparen.
"Ärger" (kodha): Militarismus und Ungerechtigkeit Als nächste Befleckung möchte ich den Ärger nennen. Das Wort "Ärger" hat viele Synonyme - Abneigung, Wut, böser Wille, Zorn, was seine weitverbreitete Gebräuchlichkeit bestätigt. Wenn wir ärgerlich sind, möchten wir ausschlagen, verletzen, zerstören oder töten, ob es sich nun um einen Moskito, einen Rabauken in unserer Klasse oder um Leute in der Gesellschaft handelt, die wir nicht mögen. Unser Ärger zeigt sich immer dann, wenn wir uns gegen das "andere" wenden und beschließen, daß wir "sie" nicht mögen, weil sie anders sind, weil sie etwas haben, das wir auch haben wollen, oder wenn wir Spaß an der Erregung und dem Reiz des Ärgers haben.
Gesellschaftlich gesehen hat Ärger die strukturelle Form von Militarismus, als da sind: Armeen, Geheimdienste, ungeheure Waffenindustrien, Spionagesatelliten, Atomkraft (niemals für Frieden), zentralisierte Infrastrukturen und nationale Sicherheitsapparate der modernen Nationalstaaten. Wir schaffen diese Institutionen und Technologien unter dem Vorwand, uns vor "anderen" zu schützen. Sie werden jedoch viel häufiger im Angriff eingesetzt und sind oft durch Ärger motiviert. In der Mehrzahl der Länder werden sie gerade gegen die Bürger eingesetzt, die sie zu "beschützen" vorgeben. "Wir kennen viele Technologien, können unglaubliche Dinge im Weltraum tun, können Atome spalten und haben vielfältiges akademisches Wissen aufgehäuft. Aber was tun wir damit? Wir benutzen das alles nur, um die Vorteile und Interessen der Befleckung zu nutzen und voranzutreiben. Das wird uns deutlich an den Leuten, deren ganzes Bestreben es ist, die Welt zu beherrschen." 5)
Natürlichwissen wir, daß die Struktur des Militarismus historisch eng verknüpft ist mit wirtschaftlichen Interessen und in der modernen Welt mit dem Kapitalismus und mit den meisten modernen Strukturen der Politik, ob nun links oder rechts. Dieser Militarismus - national, regional (zum Beispiel NATO) und global - ist eine einzige Darstellung strukturellen Ärgers.
Struktureller Ärger taucht auch in unseren sogenannten "Gerechtigkeitssystemen" auf, die von vielen Ländern zur Kontrolle benutzt werden. Strafe trifft diejenigen, die keine Macht haben. In vielen Fällen sind die Bestraften die Armen, die Minderheiten und die Frauen. Wenn zum Beispiel in den Vereinigten Staaten ein Mann seine Frau tötet, kommt er oft innerhalb von fünf Jahren aus dem Gefängnis. Falls aber eine Frau ihren Mann tötet, selbst wenn er sie jahrelang brutal geschlagen hat, kommt sie für 20 Jahre ins Gefängnis und hat kaum eine Chance auf Bewährung. Dies müßte man eher "Ungerechtigkeitssystem" nennen. Obwohl es in den letzten Jahrhunderten zumindest für einige Länder Fortschritte gegeben hat, beispielsweise durch Bewegungen für Menschenrechte und von Ureinwohnern, bleiben Ungerechtigkeiten weiterhin bestehen. Sie sind entweder sehr raffiniert in sogenannten "Demokratien" verankert oder in die "Entwicklungsländer" exportiert worden. Solange "Gerechtigkeit" auf dem Gedanken von Bestrafung beruht - sprich Rache - wird sie eine Struktur des Ärgers bleiben.
"Haß" (dosa): Rassismus, Klassendenken und Ausschlußpolitik Haß ist ein weiteres negatives Gefühl, eine tiefempfundene, angeborene Abneigung gegen jemand oder etwas. Durch Anhaften am Selbst - das wir als gut, ehrlich, schön usw. voraussetzen - projizieren wir das Böse auf den anderen, und daraus wird Haß. Eine strukturelle Form von Haß ist Rassismus, der sich in einem Großteil der reichen westlichen Welt wieder erhebt und es fraglich erscheinen läßt, ob diese Länder so "entwickelt" sind, wie sie zu sein vorgeben. Rassismus zeigt sich in weitverbreiteten Vorurteilen gegen den Islam, in der Furcht vor einer wirtschaftlichen Vorherrschaft Asiens, in der Verschiffung von Giftmüll nach Afrika und in der Überzeugung, daß westliche Regierungen besser wissen, wie die Artenvielfalt in den Ländern der Dritten Welt erhalten werden kann.
Auch Klassendenken, in den meisten Kulturen und Hierarchien verwurzelt, ist eine Form von strukturellem Haß. Nicht nur in ihren krassen Formen wie der Apartheid und dem Kastensystem, sondern in allen Gesellschaften, einschließlich der hierarchischen, autoritären Gesellschaften Asiens, erzeugen Klassenunterschiede Haß und Vorurteile zwischen Gruppen innerhalb der Gesellschaft. Eine ähnliche Erscheinung ist das religiöse Sektierertum. Indem wir uns mit einer Religion identifizieren, mit einer bestimmten Gemeinschaft oder Sekte innerhalb einer Religion, wenden wir unseren Haß und unsere Abneigung gegen andere Religionen oder religiöse Gruppen. Das dient häufig den Interessen des Kapitalismus und anderen Formen der Befleckung. Ein Beispiel ist unser Vorurteil, aufgrund dessen wir beschließen, daß Urbevölkerungen nicht wirklich menschlich sind, weil sie nicht so zivilisiert sind wie wir. Und daher haben wir das Recht, ihr Land zu beschlagnahmen, ihre Gewässer zu verschmutzen, ihre Töchter und Söhne zu Prostituierten zu machen.
Schließlich ist auch die Politik der Ausgrenzung eine strukturelle Form des Hasses. Wo immer kleine Gruppen andere von der Macht ausschließen, nämlich von dem Recht, über ihren Lebensweg zu entscheiden, da wird Gewalt ausgeübt und ist Haß am Werk. Offensichtlich besteht keine der hier aufgeführten Strukturen unabhängig von den anderen. Wir haben eine bedingte Welt, und diese verschiedenen Strukturen der Befleckung und Selbstsucht verstärken sich gegenseitig.
"Sinneslust" (raga): Prostitution in Unterhaltung, Tourismus und Geschäftswelt Wir wollen unsere Aufmerksamkeit nun der Sinneslust zuwenden. Diese Befleckung ist strukturell in unserer Unterhaltungsindustrie verankert. Filme kommen nur gut an, wenn Sinneslust und Sexualität erregt und gekitzelt werden. Die Fernsehkost wird immer unverhüllter sexuell. Pornographie wird weithin als "Unterhaltung für Männer" verstanden. Ebenso stützt sich die Werbeindustrie auf sexuelle Bilder, um uns unnütze Produkte zu verkaufen: Wir kaufen Zahnpasta, weil sie uns sexy macht; Frauen sollen BHs, Parfums und Kosmetika kaufen, um sich sexuell attraktiv zu machen; Autos machen Männer erst zu Männern; usw.
In einem Falle ist Sinneslust sogar mehr als ein Teil des Systems - in der Sex-Industrie ist sie das System selbst. Hier in Siam [vgl. Glossar] ist das sehr offensichtlich. Es ist jedoch überall dort zu finden, wo es Touristen, Geschäftsleute und Militärs gibt. Diese Sinneslust-Industrie ist verknüpft mit Militarismus, Kapitalismus und Klassengesellschaft - denn sehr wenige reicheFrauen und Knaben werden zu Prostituierten oder arbeiten in Bars, als Models und "Hostessen".
In all diesen "Industrien" wird die Sinneslust, die in den Menschen natürlicherweise entsteht, gehegt und gelenkt zugunsten wirtschaftlicher, politischer und militärischer Interessen. Sex verkauft sich. Sex ist Macht. Das Kriegshandwerk als der älteste Männerberuf benötigt den ältesten Frauenberuf, um die Jungs fit zu halten und bereit, für ihr jeweiliges Land zu sterben. Ohne spirituelle Praxis, die diese machtvolle Energie lenken könnte, wird die natürlich vorhandene Sinneslust verschlimmert und verbogen. Sie wird zerstörerisch anstatt der Fortpflanzung zu dienen. In der Tat trägt die gesamte Sinneslust-Industrie dazu bei, die Massen in Schach zu halten, indem sie abwechselnd Triebe und Gefühle anregt und dann belohnt, so daß die Menschen kaum jemals nachdenken oder hinterfragen, was eigentlich vorgeht.
"Verblendung" (moha): Bildung und Medien Verblendung (moha) heißt, die Dinge so zu sehen, wie sie nicht sind, also in Verkennung dessen, was wirklich ist - Schlimmes für gut zu halten und Gutes für schlimm. Täuschung ist heute bereits in unseren Bildungssystemen verankert. Achan Buddhadasa nennt das eine "Erziehung für Stummelschwanzhunde". "Es kümmert niemanden, daß Studenten überhaupt nichts über Ethik oder Dhamma lernen, obwohl dies notwendig zur Menschwerdung wäre." 6) Ich kenne keinen Ort in der Welt, wo eine gewöhnliche Bildung zu Einsicht beiträgt, also Kindern, Erwachsenen und auch alten Menschen hilft, den wichtigen Fragen des Lebens zu begegnen und damit zurechtzukommen. Wir stehen vielmehr Multiple Choice-Fragen gegenüber und müssen, anstatt die richtige Antwort zu finden, die "beste" aus den vorgegebenen unsinnigen Antworten auswählen.
Einsicht ereignet sich nicht in Grundschulen, weiterführenden Schulen oder Universitäten. Es mag ehrlichen Geist der Wahrheitssuche in einigen wenigen Schulen geben. Aber das sind die Ausnahmen, die die Regel bestätigen, da das nicht der Zweck unserer Bildungssysteme ist. Diese dienen hauptsächlich dem Ziel, uns mit den hier besprochenen "Ismen" zu durchdringen: Kapitalismus, Konsumismus, Individualismus, Rassismus, Militarismus. Um uns bei der Stange zu halten, wird eine gehörige Portion Angst verwendet. Bildung ist in dem Maße erfolgreich, wie Menschen willig den beschriebenen gesellschaftlichen Strukturen dienen. Höchst selten gibt es sinnvolle, ehrliche, offene Wahrheitssuche über die Sachverhalte dieser Strukturen. Müßtenwir das nicht "Strukturen der Miß-Bildung" nennen? Wie erbärmlich ist es, wenn ein Hund nicht einmal einen Schwanz zum Wedeln hat.
"Verblendung" (moha) durchdringt unter dem Mantel von Information die Medien. In Wirklichkeit werden wir mit einer Menge Pseudoinformation überflutet. Wir erfahren nicht die wichtigen Einzelheiten, sondern nur die oberflächlichen, die ein Spektakel erzeugen, um uns zu kitzeln, aufzureizen, zu erregen und uns letztendlich von der Wahrheit abzulenken. Wir erfahren nie die wirklichen Fakten.
In den letzten drei Jahren haben Thai-Zeitungen willig den korrupten Interessen in der Regierung, im Militär und gewissermaßen einer Geschäftsmafia gedient, um den Ruf zweier unserer besten Naturschützer-Mönche zu zerstören: Phra Pongsak Dejadhammo und Phra Prachak Kuttacitto. Durch Korruption bis hinein in die "Mönchsgemeinschaft" (sangha) wurden beide gezwungen, die Mönchsrobe abzulegen [vgl. Glossar, Aufsatz von Chatsuman]. Wir werden mit dem Spektakel politischer Kampagnen unterhalten, die die Illusion nähren, die Politiker seien wirklich diejenigen, die alles unter Kontrolle haben. Die Medien enthüllen uns nie, wer eigentlich bestimmt, was wir sehen und lesen, oder wer die Politiker ihrerseits kontrolliert. Diese Dinge werden nie hinterfragt oder überprüft.
Wir sehen also, daß sich die Verblendungen aus den Medien und den Miß-Bildungssystemen in gesellschaftliche Strukturen verwandeln. Darin wiederum wirken sich die Befleckungen der Langeweile und der Aufreizung aus, besonders in bezug auf die Medien, und tragen dazu bei, das Spektakel, die Ablenkung und die Verblendung aufrecht zu erhalten.
Konkurrenz: Kapitalismus, Sport und Lebensstil Eine weitere wichtige Form der Verblendung in unseren ökonomischen, politischen und kulturellen Systemen ist die Konkurrenz, die darin wurzelt, daß wir durch "Dünkel" (mana) befleckt sind. Wo es ein "Selbst" gibt, da ist auch das "Andere". Dann vergleichen wir uns mit dem anderen im Sinne von "besser als", "gleich", oder "schlimmer als". Durch diesen Ich-Du-Vergleich stellen wir uns und andere als Konkurrenten hin, manchmal sogar als Feinde.
Und damit schaffen wir die Notwendigkeit der Konkurrenz. Das umfaßt unseren Lebensstil, unsere Ideologie des Marktes, unsere Vorstellungen über Nationalstaaten und unser Verlangen nach Erregung. Unser Konkurrenzglaube macht es uns fast unmöglich, einander als Brüder und Schwestern zu sehen, als Gefährten in Geburt, Alter, Krankheit und Tod, als Partner in der Bewirtschaftungdes Planeten, als Freunde, die gemeinsam das Dhamma praktizieren.
"Angst" (bhaya): Medizin und Religion Eine weitere um sich greifende Befleckung ist die Angst. Die Angst ist heute am allermeisten im medizinischen System zur Struktur geworden, ein System, das sich kaum bemüht, Krankheiten vorzubeugen. Die moderne Medizin hat vielmehr versucht, das traditionelle medizinische Wissen zu zerstören, das sich ausgezeichnet auf Vorbeugung versteht. 7) Wir haben stattdessen Systeme geschaffen, die Angst und Sorge vermehren. Das wiederum hat der Medizin ermöglicht, mit dem Kapitalismus auf Tuchfühlung zu gehen. Die mächtige soziale Institution der Medizin-Industrie fördert die Angst und nutzt sie aus: die Angst vor dem Tod, die Angst vor Krankheit, vor dem Altwerden, vor Falten, vor Übergewicht.
Die Medizin-Industrie will uns natürlich für einen gewissen Preis bei diesen Problemen helfen. Aber das kostet uns nicht nur Geld. Unsere Gesundheit wird eine Ware. Auch Gegebenheiten, die nicht wirkliche Probleme darstellen - Falten, ein bißchen Pummeligkeit, Glatzenbildung, zu kleine Brüste (über die Babies sich jedoch nicht beklagen) - werden von institutionalisierter Angst zu Problemen gemacht. Wissenschaftler wie Ivan Illich nennen das "die Verkrankung der Gesellschaft". Die Versicherungsindustrie hat hier eine wichtige Verstärkerrolle. Sie erhält die Angst aufrecht, indem sie vorgibt, sie zu lindern - auch dies zu einem hohen Preis. Sicherheit wird damit ebenfalls zu einer Ware.
Häufig finden wir auch in der Religion eine Form struktureller Angst. Das mag nicht immer echte Religion sein, sondern das, was so unter dem Namen Religion läuft. Statt wahrer Selbsthingabe an etwas, das über uns steht, und der Auslöschung von Selbstsucht - Achan Buddhadasa nennt es das "Herz der Religion", finden wir darin alle möglichen Rituale, kindischen Überzeugungen und abergläubische Praktiken, die die Angst erhalten. Anstatt uns eine Hilfe zu sein, damit wir von unseren Ängsten frei werden und sie überwinden - Angst vor dem Tod, vor dem Verlust dessen, was wir lieben, vor Schmerz, Trennung, benutzen viele religiöse Gemeinschaften unsere Ängste, um ihre Einrichtungen zu unterhalten, um Geld einzutreiben, damit es den Priestern und Mönchen gutgeht.
Sexismus: Jede Menge "Befleckungen" (kilesa) Wir haben wiederholt gesehen, wie verschiedene soziale Strukturen von einer ganzen Anzahl von "Befleckungen" untermauert sind, wenn auch oft eine davon vorherrschend ist. Manche Ursachen von gesellschaftlichem dukkha ("Leiden") fügen sich nicht so glatt in die eine oder andere Kategorie von kilesa ("Befleckung"), wie etwa Sexismus und Patriarchat. Auf den ersten Blick, besonders aus männlicher Sicht, könnte Sexismus scheinbar in der Sinneslust wurzeln. Während die Sinneslust unzweifelhaft eine Rolle im Sexismus und im Patriarchat spielt, bekommt die Angst bei näherem Hinsehen ein größeres Gewicht: Angst vor Frauen, vor der Natur, vor Gefühlen, vor dem Unbekannten, vor der Wahrheit. Durch diese Ängste sind das Patriarchat die hierarchischen Machtstrukturen entstanden.
Ich glaube, daß Sexismus in erster Linie eine Struktur der Angst ist. Wenn wir Angst haben, dann wollen wir beherrschen, ganz besonders in männlichem Denken. Männer - in Gemeinschaft mit Frauen, die das Patriarchat internalisiert haben - beherrschen nicht nur Frauen. Wir schränken auch das Weibliche in uns selber ein, wir unterdrücken es oder beuten es aus. Wir verdrängen auch das, was traditionell mit dem Weiblichen verbunden wird, wie Natur, Intuition, Gefühle usw., also die Dinge, die Männer im allgemeinen fürchten. Mit der Angst könnte Haß vermischt sein: der Haß auf unsere Körper, auf unsere Sexualität, auf die Unterschiede. Und schließlich ist da noch die Sinneslust. Hier spielt die Tatsache eine Rolle, daß viele Männer ihre sexuellen Wünsche nicht beherrschen können. Und die Unfähigkeit von Frauen, die ihrigen zu kontrollieren, trägt auch noch dazu bei.
Ein Gewirr von "Ismen" Wir haben bisher einige der vorherrschenden Strukturen der Selbstsucht erörtert. Wenn die Liste auch nicht vollständig ist, zeigt sie doch unseren Ansatz. Wir sollten nunmehr klar erkennen können, daß diese Strukturen einerseits in den persönlichen Befleckungen wurzeln, die in jedem Individuum auftreten - Gier, Sinneslust, Ärger, Haß, Einbildung, Konkurrenz, Verblendung, Angst, Sorge, Langeweile, Aufregung. Gleichzeitig beeinflussen gerade diese starken Strukturen der Selbstsucht und Befleckung den einzelnen mit großer Heftigkeit und machen es um so leichter - was manche sogar notwendig finden - gierig zu sein, ärgerlich, ängstlich zu sein.
Es gibt eine Wechselwirkung und Triebkraft, eine Bedingtheit, zwischen diesen Strukturen der Befleckung in jedem von uns und den Strukturen der Selbstsucht und der Befleckung in der Gesellschaft. Das böte eine Möglichkeit, die Ursachen für gesellschaftliches "Leiden" (dukkha) zu untersuchen. Dieser Ansatz leugnet nicht die Wirksamkeit bestimmter wirtschaftlicher, politischer, geschlechtsbezogener und ökologischer Analysen. Wir versuchen lediglich, sie aus einem spirituellen und ethischen Blickwinkel zu betrachten. Wir können diesen Ansatz dann mit entsprechenden Analysen verknüpfen, die sich auf Wirtschaft, Politik, Feminismus beziehen und dadurch viele Einzelheiten und Mechanismen ergänzen.
Unwissenheit: Die eigentliche Ursache Um diese Analyse ein wenig gründlicher zu gestalten, sollten wir herausfinden, was der Buddhismus als die eigentliche Ursache von "Leiden" betrachtet. Könnte das auch die eigentliche Ursache unseres gemeinsamen sozialen "Leidens" sein? Die Grundursache all dieser Strukturen der "Befleckung"(kilesa) ist "Unwissenheit": wir sehen die Dinge nicht so, wie sie wirklich sind.
Eine der häufigsten Formen von Unwissenheit heutzutage kann "Pseudowissenschaft" oder "Wissenschaftlichkeit" genannt werden. Da wird vorgetäuscht, die Wirklichkeit von Dingen zu untersuchen, und dabei werden die wichtigen Teile der Realität außer acht gelassen. Pseudowissenschaft ist ein reduktionistischer Vorgang. Sie zerbricht Dinge in ihre Einzelteile und unterstellt, daß Dinge nichts weiter sind als die Summe ihrer Teile. Dabei läßt die Pseudowissenschaft die ganzheitliche, eine Gesamtheit darstellende Natur der Dinge unbeachtet. Sie ist besessen von materiellen Phänomenen und Ursachen und übersieht dabei die geistigen, ethischen, spirituellen und wertbezogenen Phänomene in den Ursachen sozialer Probleme. Außerdem haben die mechanistischen Tendenzen der Pseudowissenschaft - der blinde Glaube an Fortschritt, Evolution und positive Entwicklung, die Annahme, daß der Beobachter von dem beobachteten Objekt abgesondert ist und damit die Wirklichkeit subjektiviert und objektiviert wird - hat alles dies zusammengenommen die Wissenschaft in Pseudowissenschaft verwandelt.
Um das anders auszudrücken, entsprechend der traditionellen Erklärung des Buddha für Unwissenheit: gesellschaftliche Unwissenheit zeigt sich vierfach:
Diese vier Aspekte gesellschaftlicher Unwissenheit können wir nun auch zusammenfassend bezeichnen als nicht wissen, daß wir alle miteinander zusammenhängen, nicht erkennen, daß wir alle voneinander abhängig sind. Wenn wir gegen diese Tatsache, daß wir im Leben "miteinander in Beziehung stehen" (idappaccayata), blind sind, schaffen wir damit die inneren Ego-Strukturen und die äußeren gesellschaftlichen Strukturen der Selbstsucht. Auf traditionelle Thai-Art ausgedrückt: Unwissenheit heißt zu vergessen oder außer acht zu lassen, daß wir alle Gefährten sind in Geburt, Alter, Krankheit und Tod, kurz Gefährten im "Leiden" (dukkha).
Wenn wir gesellschaftliche Probleme aus dieser Perspektive diskutieren, ist es nicht einfach, die Probleme von ihren Ursachen zu unterscheiden. Alle genannten "Ismen" könnten ebensogut für die Probleme gehalten werden. Alle hängen zusammen, sind gegenseitig abhängig und bedingen einander. Trotzdem will ich diesen Rahmen aus zweierlei Gründen beibehalten. Indem wir die Ursachen der gesellschaftlichen Mißstände in den Strukturen der Befleckung ansiedeln, fällt es uns leichter, die Verflechtung persönlicher und struktureller "Befleckung" zu sehen. Wie sie sich ausspielen, sich voneinander nähren und gegenseitig auffressen - das ist die Dynamik, die den Lauf der "Existenzen kreisen" läßt (samsara).
Wenn wir uns hier aber auf Selbstsucht und "Befleckung" konzentrieren, dann verleihen wir außerdem Buddhisten gegenüber der Einstellung gehörigen Nachdruck, daß die Gesellschaftsstrukturen verändert werden müssen. Und letztlich beweisen wir damit allen, daß gesellschaftliche Probleme nicht nur - und nicht einmal hauptsächlich - in Wirtschaft und Politik begründet sind. Sie sind ebenso kulturell, sittlich und spirituell begründet.
Damit beende ich diese wenigen allgemeinen Überlegungen zu den beiden ersten "Edlen Wahrheiten" [Um welches Problem geht es? Woher rührt es?], wenn man sie auf die Gesellschaft bezieht.
Zugegebenermaßen ist diese Analyse ein bloßer Beginn, ein Vorschlag für den Rahmen weiterführender Analysen mit Hilfe subtilerer Begriffe (zum Beispiel vom "bedingten Entstehen", paticca-samuppada) und entsprechender Gesellschaftswissenschaften, mit der Praxis von Aktion - Reflexion und im Dialog mit anderen engagierten monastischen "Gemeinschaften" (sangha). Ich hoffe aber, daß dieser Ansatz zumindestens dazu beitragen wird, daß
Teil 2:Dhamma-Sozialismus und die Beendigung von "Leiden" (dukkha) Nun wollen wir die glückliche oder erstrebenswerte Seite des Bildes betrachten. Wir haben in Teil 1 mit unerfreulichen, schmerzhaften Wahrheiten begonnen, weil der Buddhismus lehrt, daß wir uns unserem "Leiden" und unseren Problemen stellen müssen. Wir stellen uns ihnen jedoch, damit wir sie überwinden und am anderen Ufer ankommen, im Frieden aus Befreiung. Darum müssen wir das Stillen ["stillen" klingt an Nibbana an] von "Leiden" auch in gesellschaftlichen Zusammenhängen untersuchen, nämlich "die dhammagemäße Gesellschaft".
Achan Buddhadasa nannte diese Vision der nibbanischen Gesellschaft "Dhamma-Sozialismus". [Vgl. dazu insgesamt den Beitrag von Swearer.] Darin drückten sich für ihn zwei grundlegende Tatsachen aus. Zum einen sind wir unausweichlich und unentrinnbar soziale Wesen, die in Gesellschaftsformen zusammenleben müssen, in denen es wesentlich darauf ankommt, wie wir zueinander in Beziehung stehen, zusammen arbeiten und miteinander umgehen. Solche Formen der Gesellschaft waren das, was er unter Sozialismus verstand, womit er sich wohl vom Verständnis der Politikwissenschaftler und Marxisten unterscheidet.
Der ehrwürdige Meister definierte gern Worte auf seine eigene Art, und wir mißverstehen ihn völlig, wenn wir das unbeachtet lassen. Sangkomniyom, das Thai-Wort für Sozialismus, bedeutet wörtlich "Vorrang für die Gesellschaft" oder "Begünstigung der Gesellschaft" vor der Begünstigung des Individuums (Individualismus). Letzteres geschieht ja häufig im Westen oder im derzeitigen Kapitalismus und in den Konsumgesellschaften. Sein Sozialismus gründet in der Tatsache, daß wir um des Überlebens willen zusammenhalten müssen. Darum müssen wir unsere Aufmerksamkeit auf diejenigen Strukturen und Mechanismen der Gesellschaft richten, die uns in die Lage versetzen, dies Zusammenleben so geschickt und ertragreich wie möglich zu gestalten. Wir alle sind dafür verantwortlich, daß wir diese Strukturen pflegen, auf sie achtgeben und für sie einstehen. So also ist hier Sozialismus zu verstehen.
Wir wissen aber auch um die Tatsache, daß Sozialismus fehlgehen kann. Es hat unterschiedliche Ansätze im Sozialismus gegeben, und einige davon sind falsch gewesen, nämlich autoritär, gewalttätig und korrupt. Achan Buddhadasa beharrt darauf, daß der Sozialismus vom Dhamma bestimmt sein muß, um ihn aufrichtig, sittlich und gewaltfrei zu erhalten. Daher sprechen wir von Dhamma-Sozialismus. Wir wollen keinen Sozialismus, der in erster Linie materialistisch oder ökonomisch ist - Achan Buddhadasa ist nicht für einen Sozialismus auf der Grundlage von Klassenkonflikt oder Klassenhaß eingetreten. Wir sind stattdessen auf der Suche nach einem Sozialismus, der im Einklang mit dem Dhamma ist. In Einklang mit dem Dhamma bedeutet auf der Grundlage der Erkenntnis, daß Menschen voneinander abhängig sind.
Mit anderen Worten, unser Sozialismus muß ein moralischer sein, verankert in "Ethik" (sila dhamma, was moralisch akzeptabel ist, Normalität). Diese sila dhamma besteht in Beziehungen und Handlungen, die niemanden unterdrücken oder übervorteilen, auch uns selber nicht. Sie dienen dem gemeinsamen Wohlergehen, sowohl unserem eigenen als auch dem anderer und der Allgemeinheit. Wie wir oben gesehen haben, ist gesellschaftliche Unterdrückung in persönlichen und strukturellen "Befleckungen" verwurzelt, nämlich in Selbstsucht. Diese Selbstsucht auszuschalten ist die Aufgabe von sila dhamma, von Religion und Dhamma-Sozialismus.
Wir müssen an dieser Stelle nicht erörtern, ob unser Sozialismus über das sittliche Niveau hinaus auch eine Gesellschaft gestalten kann, in der nicht nur alle frei von selbstsüchtigem Verhalten, sondern bereits frei von selbstsüchtigem Denken sind. Ich glaube, es genügt erst einmal, unseren Blick auf eine Gesellschaft zu richten, in der selbstsüchtiges Verhalten reduziert ist. Wir werden später noch darüber reden, welches Gewicht einer tiefgründigeren Sittlichkeit zukommt, durch die die Selbstsucht kurzgeschlossen wird, und auch einer Spiritualität, die die Selbstsucht ausschaltet - falls die Menschen um der dhammagemäßen Gesellschaft willen ihr Verhalten unter Kontrolle bringen und verändern. Die Menschen brauchen eine Vision, die ihnen zeigt, daß wahres Glück im Dhamma-Sozialismus und einer nibbanischen Gesellschaft liegt und nicht in Selbstsucht, Ideologie des Konsums, Materialismus und ähnlichem.
In dieser Debatte gebe ich weder der Gesellschaft und ihren Strukturen die Schuld an allem "Leiden", noch behaupte ich, daß die Neuordnung der Strukturen alles "Leiden" beenden wird, denn wichtige Aspekte unseres Leidens und unserer Praxis liegen ganz tief in unserer Persönlichkeit. Und dennoch ist es möglich und notwendig, daß die Gesellschaft die in der ersten Hälfte dieses Vortrags genannten Hindernisse für ein spirituelles Wachsen beseitigt und daß sie gleichzeitig das Erkunden und die Entfaltung von Spiritualität unterstützt und anregt. Unsere "Gruppen für buddhistische Praxis" (Buddhist Practice Communities) und "Gruppen für den Wandel der Gesellschaft" (Social Transformation Communities) können auf Ortsebene sofort mit der Arbeit an diesen Fragen beginnen. Unser Dhamma-Sozialismus bezeichnet also eine Gesellschaft und deren Ordnung, in der die selbstsüchtigen "Befleckungs"-Strukturen in aufgeklärte "Erleuchtungs"(bodhi)-Strukturen umgewandelt worden sind. Wenn die gesellschaftlichen Strukturen von Grund auf befleckt sind, dann wird es sehr viel gesellschaftliches dukkha geben. Sind diese gesellschaftlichen Strukturen jedoch in bodhi umgewandelt, wird es eine erleuchtete, nibbanische Gesellschaft geben, die friedvoll und abgekühlt ist und sich wohltätig auf alle auswirkt.
Dhammagemäße Gesellschaftsstrukturen Nachdem ich in Kürze den Dhamma-Sozialismus definiert habe, möchte ich nun eine Vision dessen skizzieren, was wir "die Gesellschaft mit geringstem "Leiden" nennen können ( "minimal dukkha society"). Dabei werde ich aus den Gedankengängen Achan Buddhadasas schöpfen, sie jedoch ein wenig anders anordnen.
Lassen Sie uns auf einige der Befleckungsstrukturen zurückkommen und ihre Gegenstücke der Erleuchtung betrachten. Dabei können uns die vielen im Buddhismus gelehrten und geachteten Tugenden und Qualitäten geschickten Verhaltens leiten. Dadurch können wir etwas von der dhammagemäßen Gesellschaft erahnen und ihre Zielrichtung erkennen. Wir können hier aber nicht vorgeben, fertige Antworten für alles zu haben, so wie das auch Achan Buddhadasa nicht getan hat. Ihm ging es um den Versuch, die Richtung aufzuzeigen, in der wir weiterzuarbeiten hätten, und die Hauptelemente des Pfades, der uns in diese Richtung führen würde. Unser Versuch wird notwendigerweise idealistisch und allgemein ausfallen. Wenn wir später den Pfad erörtern, müssen die Einzelheiten kreativ und greifbar erkundet werden.
Wie sieht denn eine Gesellschaft aus, wenn die selbstsüchtigen Befleckungsstrukturen beseitigt sind? Welches sind denn die Strukturen, die aus den von Buddhisten und anderen Religionen wertgeschätzten und respektierten Tugenden und Werten gebildet sind? Wenn das gierige Gefüge des Kapitalismus erst einmal beseitigt ist, wird die wirtschaftliche Struktur eine Struktur des "Gebens" (dana, Großzügigkeit, Teilen) werden, eine Struktur des "Genügens" (santutthi, Zufriedenheit mit dem, was man hat), eine Struktur der Mäßigung, Genügsamkeit und Selbständigkeit.
Allein dies würde bereits einen radikalen Wandel der derzeitigen Gesellschaft bedeuten. Allerdings waren vergangene Kulturen, besonders in ländlichen Gebieten und bei eingeborenen Völkern, dem schon sehr nahe. In traditionellen Gesellschaften sind Großzügigkeit und Teilen sehr wichtig. Zufriedenheit mit dem, was Natur und Leben bereithalten, ist viel bekömmlicher als endloses Verlangen. Schließlich werden die Menschen durch "richtigen Lebenserwerb" (samma ajiva) ihre Bedürfnisse nicht in zerstörerischer, sondern in nachhaltiger Weise befriedigen. Wir werden eine Praxis der richtigen Ökonomie haben, um dies zu erreichen.
Die ursprüngliche Bedeutung von setthi (einer, der reich ist an Vorzüglichkeit) wird dann wiederhergestellt werden. Anstatt der heutigen Bedeutung "Millionär" oder "Milliardär" wird setthi sich auf Menschen beziehen, die reich an Tugend und Güte sind, die ihren materiellen, geistigen und spirituellen Reichtum dazu gebrauchen, den weniger Glücklichen zu helfen und andere in ihrer spirituellen Praxis zu unterstützen. Wahrhaftige setthi "haben ein wirtschaftliches System, das im Dhamma begründet ist" [wie Buddhadasa Bhikkhu sagt]. Wir sollten uns daran erinnern, daß der beispielhafte buddhistische Millionär Anandapindika schließlich all seinen Reichtum weggegeben hat. Kann dieses Beispiel uns heute noch begeistern? 8)
Statt auf Ärger und Militarismus wird die Gesellschaft auf "liebender Güte" (metta) und "Mitgefühl" (karuna) beruhen. In den meisten Schulen des Buddhismus finden wir Legenden über den Maitreya Buddha, den zu erwartenden Buddha, der ein Zeitalter von allgemeiner Liebe und Mitgefühl heraufführen wird. Andere Traditionen haben ähnliche Vorstellungen und Bilder, wie zum Beispiel die Wiederkehr Christi. Viele Menschen heutzutage werden über ein solches Ideal nur lachen. Aber der Dhamma-Sozialismus muß Strukturen errichten, in denen die Werte "liebende Güte", "Mitgefühl", Sympathie und Empathie bewahrt sind. Wir werden eine Praxis der richtigen Politik, Organisation und Führung haben, um dies zu erreichen.
Die Gesellschaft wird nicht mehr in konkurrierenden Strukturen, sondern in solchen der "Harmonie" (samaggi, Harmonie, Einheit), der Zusammenarbeit, gegenseitiger Hilfe und Unterstützung bestehen. Es wird mannigfache Gruppen, Organisationen und Gemeinschaften geben, in denen die Leute Kenntnisse, Fähigkeiten, ihre Mittel und Erfahrungen austauschen. Dies wird aber nicht im Sinne von "Hilfst du mir, helf ich dir" geschehen. Vielmehr wird uns diese "Harmonie" dazu anregen, aus freien Stücken zu helfen. Wann immer jemand in Not ist, werden andere Menschen da sein.
Das ist nichts Neues in der Welt. Es gibt immer noch viele Gemeinschaften, wo einer Bitte sogleich die Hilfe folgt. In meiner Jugend haben die Freunde aus der Kirchengemeinde meiner Mutter uns das Essen gebracht und sich um uns gekümmert, wenn sie krank war. Wenn jemandem das Haus abbrannte, sprang die ganze Gemeinde ein mit Kleidung, Möbeln, Geld, Essen und vorübergehender Unterkunft. In Bangkok haben Zuhörer des bekannten Verkehrssenders FM 100 schwangere Frauen zur Entbindung in Krankenhäuser gebracht, haben geholfen, Raubüberfälle zu verhindern und Katastrophenhilfsgüter zu sammeln. Diese Keime von Hilfe, liebender Güte und Mitgefühl werden sich in der dhammagemäßen Gesellschaft voll entfalten. Wir werden eine Praxis der richtigen Gemeinschaft und Solidarität haben, um dies zu erreichen.
Es wird nicht mehr die Haßsysteme des Rassismus, der Klassengesellschaft, des religiösen Sektierertums und anderer Formen von Ausschließlichkeit geben. Stattdessen wird es "Achtung" (garava) geben und "Würdigung" (anumondana) von Unterschieden und Vielfalt bei Alter, Geschlecht, Rasse und Volkszugehörigkeit, Religion, Sprache, Herkunft, Begabungen, Stärken usw. Die Versuche, Gleichförmigkeit aufzuzwingen, werden aufhören. Die Unterschiede werden jedoch nicht dazu benutzt, Angst und Haß zu nähren. Sie werden als Quelle und Ursprung von Freude angesehen.
Wir werden fähig, voneinander zu lernen. Die Notwendigkeit zur Bildung von Gruppenidentität und kollektiven Egos wird verschwinden. Wenn dennoch ein gewisses Identitätsbedürfnis bestehen bleibt, so wird es zumindest andere nicht mehr ausschließen, sondern es gibt Offenheit zu Dialog und schöpferischer Partnerschaft mit anderen Gruppen. Wir werden eine Praxis von richtiger Erziehung und Religion haben, um dies zu erreichen.
Gesunde Sexualität in gesunden Familien wird den Sexismus und damit die kränklichen Strukturen von Angst, Haß und Sinneslust ersetzen. Auf diese Weise werden Kinder aufgezogen und sozialisiert, ohne all die Ängste, Zwangsvorstellungen, Unterdrückung und Vorurteile von Patriarchat und Sexismus. Mit gesunder Familie ist hier gemeint, daß Mann und Frau zusammenleben in reifer Liebe, die sich in Achtung und gemeinsamer Verantwortung gründet. Jedes Ehepaar hat nur so viele Kinder, daß Zeit, Kraft und Liebe für sie ausreichen. Die Menschen werden spirituell an sich arbeiten, bevor sie das wichtige Unternehmen der Fortpflanzung beginnen.
Bestimmte Rollen scheinen zwar in den jeweiligen Bereich des einen oder des anderen Geschlechts zu gehören, aber das kann niemals ausschließlich und starr gelten. Männer werden fähig sein, ihre weiblichen Qualitäten zu würdigen und zu entwickeln. Frauen wird es gelingen, ihre eigenen männlichen Seiten zu achten und zu fördern. Ideen und Bezeichnungen wie "männlich" und "weiblich" werden weiter bestehen, aber wir werden dann begriffen haben, daß wir nicht mehr an ihnen kleben müssen. Sexualität wird eine Möglichkeit sein, mit tief empfundenen menschlichen Bedürfnissen, Instinkten und Gefühlen umzugehen, aber sie nicht auszubeuten, weder sexuell durch Wollust noch politisch durch Machtspiele. Im Rahmen einer richtigen Kultur werden wir die Praxis von richtiger Familie und Sexualität haben, um dies zu erreichen.
Die Miß-Bildung und die Strukturen der Verblendung in den Massenmedien werden in Strukturen der Bewußtheit, der Weisheit und kultureller Lebendigkeit verwandelt. Um das zu erreichen, werden wir richtige Kommunikation brauchen. Mannigfache Lernmöglichkeiten und Hilfsmittel wird die Menschen in die Lage versetzen, etwas über sich selber, über andere, die Gesellschaft, die Natur und das Dhamma zu erfahren und zu verstehen. Solche Möglichkeiten werden wahrscheinlich nicht über die gewohnten Kanäle von Schule und Universität vermittelt, obwohl Einrichtungen dieser Art vielleicht noch bestehen bleiben werden.
Bildung wird vielmehr als lebenslanger Prozeß angesehen werden. Sie wird nicht bloß für Abschlußzeugnisse oder für das Geldverdienen da sein, sondern wird sich auf die Beendigung von "Leiden" richten, auf das Verstehen dessen, was im menschlichen Leben und in der menschlichen Gesellschaft wirklich wichtig ist. Das soll jeden Menschen befähigen, seinen Platz und seine Rolle in der Gesellschaft zu finden und diesen Platz und diese Rolle ohne jede Selbsttäuschung oder "blinde Übereinstimmung" (consensus trance) gerne auszufüllen. 9) Sie oder er soll dadurch in die Lage versetzt werden, sich dieser Rolle oder der Verantwortung zum Besten der Gesellschaft ganz zu widmen. Das wichtigste ist, daß Bildung in den Händen der Gemeinschaften liegt, wo sie auch stattfindet, und dazu gehört Partnerschaft zwischen Lernenden und Lehrenden.
In ähnlicher Weise werden die Medien der Aufgabe dienen, nützliche Informationen auszutauschen. Es wird zwar weiterhin solche Dinge wie Internet, Fernsehen und Zeitungen geben, sie werden jedoch nicht mehr unter der Herrschaft von Patriarchat, Kapitalismus und Militarismus stehen. Sie werden nicht mehr von riesigen unpersönlichen Bürokratien kontrolliert, weder in staatlichem noch religiösem oder privatem Besitz. Befreit von solchen Strukturen, werden die Medien schöpferisch gebraucht, damit die Menschen herausfinden können, was ihnen wirklich nützt. Die Medien werden dann Teil des Bildungsprozesses sein und dazu dienen, daß die Menschen ihr Lernen lebenslang fortsetzen können. Wir werden dann nicht mehr mit einer Einbahnstraße von Informationen gefüttert, sondern es werden interaktive Informationssysteme sein, die auf dem Dhamma beruhen. Dem Lernenden wird es möglich sein, Inhalt, Tempo, Darstellungsweise zu bestimmen. Ferner werden die Medien den Menschen dabei helfen, ihr Wissen und ihre Erfahrungen auszutauschen. Wir müssen richtige Kommunikation entwickeln, um diese gesunden Strukturen zu verwirklichen.
Die Angststrukturen, durch die die Kranken- und Versicherungsindustrie geschaffen wurde, müssen umgewandelt werden in solche Systeme, die den Menschen Leben und Tod verständlich machen und ihnen helfen, sich auf Veränderung und Krankheit einzustellen und mit Schmerz zu leben. Mit einem solchen Verständnis werden die Menschen sich nicht vor Veränderungen in ihrem Körper fürchten. Es wird dann jedoch ein ganzes Aufgebot von Methoden geben, um unnützen Schmerz, unnötig frühen Tod, Verwirrung zu vermeiden. Ein solches System wird auf Gesundheit und nicht auf Krankheit ausgerichtet sein. Wenn wir Leben, Gesellschaft, Natur und Dhamma verstehen, dann werden wir auch wissen, was Gesundheit ist. Das medizinische System wird ein Gesundheitssystem sein, das alle Aspekte des Lebens abdeckt. Versicherung wird man sich durch gute Ernährung, gesunde Lebensweise und Arbeitsbedingungen, körperliche Bewegung und Dhamma erwerben. Medikamente und technische Eingriffe werden lediglich eine unterstützende Rolle haben.
Ähnlich wird echte Religion - die es in Nischen hier und da ja bereits gibt - in den Vordergrund treten. Eine solche Religion wird keine komplizierten, reichen und mächtigen Institutionen brauchen. Sie wird die ganz anders gearteten "Erleuchtungs"-Strukturen (bodhi) unterstützen und anempfehlen, und nicht mehr den "Befleckungs"-Strukturen (kilesa) schöntun. Ihr einziges Anliegen werden die verschiedenen Ausdrucksformen von Spiritualiät und Ethik sein. Wir werden richtige Gesundheit und richtige Religion pflegen, um diese Aufgabe zu bewältigen.
Schließlich werden die Wettbewerbssysteme durch gemeinschaftlich arbeitende Systeme ersetzt. Die früheren sich selbst versorgenden Gemeinschaften werden wiederkehren, wenn auch oft in neuer Form. Schöpferische Organisationsformen werden Zusammenarbeit bei gegenseitiger Verantwortung, Achtung, Mitwirkung und Übereinstimmung ermöglichen. Beispielsweise wird Buddhas sangha-System (System der "Gemeinschaft") auf verschiedenste Weise neu belebt. Dadurch wird es den jeweiligen örtlichen Bedingungen gerecht. Ohne eine Politik der Feindbilder brauchen wir auch keine politischen Parteien. Die Regierung wird dezentralisiert sein, von unten nach oben organisiert, transparent, nicht hierarchisch und auf Schumachers Subsidiaritätsprinzip aufgebaut.
Dies sind lediglich ein paar grobe Annäherungen an die allgemeine Richtung, in die wir uns bewegen müssen. Um die Einzelheiten zu erarbeiten, müssen wir alle noch viel mehr Überlegungen und Erkundungen anstellen. Eine richtige sangha-Gemeinschaft wird das wichtigste Hilfsmittel dazu sein. Wir müssen heute damit beginnen!
Dhamma-Sozialismus ist also kurz gesagt eine Gesellschaft, die nicht mehr auf Selbstssucht beruht. Ihre Grundlage ist Verstehen-in-Bewußtheit, daß wir gegenseitig abhängig sind und daß Zusammenarbeit notwendig ist; daß es notwendig ist, Opfer zu bringen, das Selbst fahren zu lassen und selbstsüchtige Interessen zum Wohle der Gesellschaft aufzugeben, nämlich zum Wohle des Planeten und um des Dhamma willen. Dhamma-Sozialismus ist die Vision einer selbstlosen Gesellschaft, einer Gesellschaft, die nibbanisch ("verloschen") oder abgekühlt ist.
Gemäß den Voreingenommenheiten moderner Gesellschaftstheorien, die auf Hobbes und Locke zurückgehen, werden diese Ideen wohl vielen Menschen sehr weit hergeholt und unmöglich erscheinen. Schließlich wurden sie zu der Einstellung erzogen, daß das Leben und die Gesellschaft ein grausiger Wettlauf sind von Fressen und Gefressenwerden. Buddhisten jedoch glauben an die Buddhanatur und sehen darin das leitende Prinzip für die Gesellschaft. Jeder von uns ist Buddha. Alle sind wir fähig, über den Pfad von Geistesgegenwart, Mitgefühl und Weisheit zu unserer wahren Natur zu erwachen. Wir sind grundsätzlich in Ordnung. Wir müssen der Auffassung entgegenwirken, die vom Schlimmsten im Menschen ausgeht, weil das "eine sich selbst erfüllende Prophetie" ist. Wir sollten vielmehr mit Aufgeschlossenheit, in flexibler und nicht sektiererischer Weise die Möglichkeiten für eine selbstlose Gesellschaft, oder wenn Sie wollen, für Dhamma-Sozialismus formulieren.
Der "Edle achtfache gesellschaftliche Pfad" Nun bleibt mir noch eine letzte "Edle Wahrheit" zu behandeln, nämlich der Pfad, den wir zur Verwirklichung einer Gesellschaft verfolgen müssen, die nicht mehr selbstsüchtig ist. - Beachten Sie bitte, daß wir ihn bereits beschreiten, sonst wären wir heute nicht hier. - Jeder Aspekt der "Vier Edlen Wahrheiten" ist zur Lösung von Problemen notwendig. Während wir tiefer verstehen lernen, wo wir herkommen, was die Probleme sind und ihre Ursachen, und wohin wir uns bewegen sollen - nämlich in die nibbanische Gesellschaft, müssen wir ganz praktisch und wirkungsvoll den Weg finden, wie wir einen Anfang machen und dann auch die Bewegung aufrechterhalten können. Wie stets in unserer Praxis tun wir unsere Arbeit im gegenwärtigen Augenblick. Das heißt nicht, Vergangenheit und Zukunft zu ignorieren - es bedeutet lediglich, daß wir mit der Wirklichkeit hier und jetzt umgehen. Wie kommen wir also von hier nach da?
Neben meinen eigenen Gedanken und Erfahrungen werde ich mich auf einige von Achan Buddhadasas Ideen beziehen. Ich werde sie entsprechend dem Prinzip des "Edlen Achtfachen Pfades" anordnen. Manche Buddhisten werden es vielleicht befremdlich, ja als Sakrileg empfinden, von dem "Edlen Achtfachen Pfad" im Zusammenhang von gesellschaftlichem Wandel zu sprechen. Achan Buddhadasa hat sehr gern hervorgehoben, daß der "Edle Achtfache Pfad" ein natürliches Prinzip ist. Er ist nichts Heiliges, Überweltliches, das nur in erhabenen spirituellen Angelegenheiten verwendet wird.
Der Pfad ist vielmehr sehr praktisch für gewöhnliche weltliche Obliegenheiten zu gebrauchen, wie zum Beispiel das Pflügen der Reisfelder, das Zähneputzen oder das Geschirrspülen. Wenn das also, wie er oft betonte, ein allgemeines natürliches Prinzip ist, kann es auch für die Aufgabe gesellschaftlicher Veränderung verwendet werden. Es ist nun zwar wunderbar und vollkommen im Bereich von persönlicher Weisheit, Sittlichkeit und Meditation. Um jedoch einen ebenso vollkommenen und wunderbaren "Edlen Gesellschaftlichen Pfad" zu finden, müssen wir vielleicht hier und da ein paar Faktoren hinzufügen oder anpassen. Jedenfalls ist der "Edle Achtfache Pfad" ein guter Ausgangspunkt für unsere Überlegungen.
Darum will ich auch keine umfassende Diskussion des "Edlen Gesellschaftlichen Pfades" versuchen. Ich werde mich mit bestimmten Vorschlägen begnügen, mit denen ich Erfahrungen gemacht habe oder die aus Diskussionen, Workshops und Seminaren mit engagierten Buddhisten und anderen tatkräftigen Freunden hervorgegangen sind, vorwiegend in Siam. Ich hoffe, daß wir sie mit Vorschlägen aus anderen Referaten und Diskussionen verbinden können, um einen vollkommeneren Pfad engagierter buddhistischer gesellschaftlicher Praxis zu entwickeln.
Das Schlüsselwort bei jedem Faktor des Pfades ist "richtig" oder "korrekt" (samma, vgl. Glossar, "richtig" im Sinn von "vollkommen", "angemessen "). Korrektheit darf aber nicht dogmatisch definiert werden. Nichts ist korrekt außerdurch das Dhamma. Das bedeutet, es ist im Einklang mit dem Naturgesetz und entspricht Ursachen, Zielen, Zeit, Gesellschaft, betroffenen Einzelpersonen und einem selber. 10) Somit hängt die Bedeutung von "richtig" oder "korrekt" von den Ursachen oder Umständen eines jeden Falles ab. Wir müssen geistesgegenwärtig, empfindsam, aufgeschlossen, flexibel, schöpferisch und einsichtsvoll sein, um den jeweils unterschiedlichen sich verändernden Kontext wahrzunehmen und darauf zu reagieren.
Das "Edle" unseres Pfades ist aber auch entscheidend. Wir meinen natürlich nicht edel (ariya) im allgemeinen Sinn von Hierarchie oder Klasse. Wörtlich bedeutet dieses Paliwort "fortgehen (ya) von seinen Feinden (ari)." In der Tradition wird der Begriff "Feinde" auf die "Befleckungen" (kilesa) bezogen. Weiter oben haben wir geklärt, daß die gesellschaftlichen "Befleckungs"-Strukturen die Feinde aller Wesen sind. Im übrigen ist der "Pfad" "edel", da nur noble und geschickte Mittel angewendet werden. Wir vermeiden zum Beispiel Gewalt. Wir wollen die "edlen Mittel" sorgfältig bedenken.
[Der "Edle Achtfache Pfad" besteht aus:
1) samma ditthi: richtige Erkenntnis;
2) samma sankappa: richtiges, rechtes Bestreben;
3) samma vaca: richtige Rede;
4) samma kammanta: richtiges Tun;
5) samma ajiva: richtiger, rechter Lebenserwerb;
6) samma vayama: richtige Anstrengung, Energie;
7) samma sati: richtige Achtsamkeit, Geistesgegenwart;
8) samma samadhi: richtige Konzentration.]
Richtige Religion ["richtige Erkenntnis"] Der "Edle Achtfache Pfad" beginnt mit dem richtigen Verstehen. Entsprechend muß unser "Edler Gesellschaftlicher Pfad" mit der richtigen Religion und der richtigen Bildung anfangen. Die zentrale Aufgabe des Internationalen Netzwerks Engagierter Buddhisten (INEB) ist es somit, die Rolle von Religion im gesellschaftlichen Wandel zu klären. Ob dieses Symposion dazu verhelfen kann? Viele Institutionen und Überlieferungen sowohl in unserer Religion als auch in der Welt unterstützen einen gesellschaftlichen Wandel nicht. Ich betrachte das als "falsche Religion".
Wirmüssen allerdings, zumindest für Buddhisten, betonen, daß Buddhismus eine Lebensweise ist, die zur Beendigung aller "auslöschbaren" Formen von "Leiden" führen soll, einschließlich der sozialen und strukturellen Erscheinungsformen. Wir müssen unsere Religionen solange säubern, bis sich dieses Verständnis durchgesetzt hat. Dann wird es möglich sein, daß die Menschen in der Religion nicht mehr einen Fluchtweg, nicht eine Ansammlung von Ritualen und Aberglauben, nicht etwas zum Sich-Gut-Fühlen, nicht eine Art Konditionierung und Gehirnwäsche sehen, sondern ein Mittel, um sich selber zu verändern und miteinander für eine bessere Gesellschaft zu arbeiten.
Dazu gehört die Bildung von Studiengruppen innerhalb unserer praktizierenden Gemeinschaften. Diese Gruppen sollen die Textgrundlagen der Schulrichtungen aus dem Blickwinkel unterschiedlicher sozialer Fragen studieren. Dabei geht es insbesondere um die schon angesprochenen Probleme und Strukturen sowie um die unten folgenden Bestandteile des Pfades. Einige Feministinnen haben beispielsweise mit Auslegung und Kritik von buddhistischer Literatur begonnen, um den Buddhismus von sexistischen und patriarchalischen Elementen zu befreien. Andere Wissenschaftler haben den Tipitaka nach ökologischen Grundsätzen untersucht. Ich versuche nun dasselbe in bezug auf Gemeinschaft (sangha, "Gemeinschaft"). Wir müssen durch Publikationen, Seminare und durch die laufenden Projekte versuchen, unterschiedliche Denker und Wissenschaftler in dieses Unternehmen einzubeziehen.
Nachdem nun die buddhistische Betrachtungsweise von sozialen Fragen geklärt ist, müssen wir einen kreativen Weg finden, sie in unseren Riten und Einkehrtagen zu verwenden. Thai-Mönche ordinieren beispielsweise Bäume und führen besondere Segenshandlungen für Dorfkooperativen durch. Traditionelle Geldsammelaktionen werden entsprechend verändert genutzt, um das Anpflanzen von Bäumen, um Reisbanken und andere Projekte zu unterstützen. Manche von uns arbeiten an der Entwicklung von "gesellschaftsbezogener Gruppenmeditation" ( "group social meditations "), wie ich es nennen möchte, wobei traditionelle Meditationsmotive direkt mit gesellschaftlichem "Leiden" verknüpft werden. Joanna Macy und andere haben die metta-Praxis ("liebende Güte") und die "Nehmen-und-Geben"-Praxis auf das Artensterben, die Abholzung der Wälder und auf atomare Fragen übertragen [metta-Praxis ist ein meditatives Herzenstraining zur Verströmung von liebender Güte in alle Himmelsrichtungen]. Thich Nhat Hanh und andere passen die buddhistischen Grundregeln an die moderne Wirklichkeit an. Wo Politiker Demokratie und Menschenrechte mit Füßen treten, können wir beispielsweise traditionelle Beerdigungszeremonien durchführen. Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.
Richtige Bildung Da die moderne Welt zunehmend säkular wird, kann Religion allein nicht mehr das Notwendige leisten, sondern wir müssen auch die Bildung dadurch verbessern, daß wir sie aus dem Griff ökonomischer Voraussetzungen, politischer Ideologien, enger religiöser Ideologien, aus dem Griff von Patriarchat und Pseudowissenschaft befreien. Wir müssen Bildung umwandeln in eine Form von Partnerschaft zwischen Menschen jeden Alters und Herkommens, jederlei Erfahrung, Fähigkeiten und Auffassungen. Kinder und Erwachsene müssen sich die Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen aneignen können, die zu ihrem jeweiligen Glück und Wohl beitragen, und sie müssen durch das Miteinanderteilen ihre Selbstachtung entwickeln.
Das Thema richtige Bildung habe ich ganz besonders mit Freunden aus Siam, den Philippinen und Indien erkundet. Wir möchten Wege finden, um den natürlichen Lernvorgang, der durch das Miß-Bildungssystem fehlgeleitet und verkümmert ist, zu unterstützen und zu fördern. Ich habe früher Jugendliche unterrichtet. Demgegenüber bezieht sich meine augenblickliche Erfahrung auf Erwachsene, hauptsächlich junge Mönche und Leute, die sich für die Gesellschaft einsetzen. Wir haben gewisse Erfolge damit erzielt, daß wir ein Gleichgewicht halten zwischen Inhalt und Vorgehensweise (eine Mango braucht ihre Schale), auch zwischen den Erfahrungen und Möglichkeiten der Lernenden und der Sachkundigen sowie zwischen äußerlicher und innerer Arbeit.
In unserem Ansatz bilden die "Vier Edlen Wahrheiten" Rahmen und Richtung, während die Einzelheiten von den Lernenden und ihren Bedürfnissen bestimmt werden. Grundelemente in unseren Methoden - nichts ist festgelegt, alles offen für Ideen - sind Gemeinwesenarbeit, Übungen der "Achtsamkeit", kreative soziale Analyse, Studienaufenthalte ebenso wie direktes Mitleben, die Praxis von Aktion - Reflexion, traditionelle Heilungsmethoden und Liturgiefeiern. Wir stützen uns auf eine Vielzahl von Quellen: Strukturanalysen, in den Philippinen entwickelte Methoden der Kulturanalyse, Feminismus, Ökologie, Paolo Freires Theorien zur Bewußtmachung, die Praxis der "Achtsamkeit durch Atmen" (anapanasati, Atemmeditation), Tai-Chi, Massage, die Erfahrungen von christlichen Basisgemeinden in Lateinamerika und den Philippinen 11), die Weisheit befreundeter Eingeborener und die spirituellen Lehren desBuddhismus und anderer asiatischer Religionen. Unser Motto heißt "integral-holistische Bewußtheit, Analyse und Aktion."
Bisher haben wir diesen Ansatz in Gruppen von 20 bis 40 Leuten für Zusammenkünfte von bis zu einem Monat verwendet. Besonders in den Philippinen sind wir dabei, noch längere Programme zu entwickeln. Gleichzeitig schaffen wir einen Pool von Sachkundigen - das heißt von Veranstaltern und Freunden aus ganz Asien, die unsere Hauptanliegen teilen.
Die Gruppe um Achan Sulak entwickelt gegenwärtig Sem Sikhalai, ein alternatives Institut auf der Grundlage spiritueller Werte [SEM heißt "Spirit in Education Movement", also Bewegung für Geist in der Bildung, Sikhalai (Pali-Thai) etwa "Hohe Schule für Moral, Herz-Geist-Einheit und Weisheit", gegründet 1995, vgl. Glossar].
Ein Netzwerk von Mönchen mit Namen Phra Sekhiyadhamma, ebenfalls in Siam, plant ein alternatives Bildungswerk, das auf den traditionellen Stärken des Thai-Buddhismus beruht und dabei neue Methoden und Wissensbereiche einbezieht [vgl. Beitrag von Swearer, Glossar]. Wir hier wollen jedoch keine neuen Institutionen und Einrichtungen schaffen. Unser Ziel ist eine phantasievolle Koppelung von bereits vorhandenen Arbeitsmöglichkeiten mit jungen Mönchen und Nonnen, damit dabei Programme so entworfen werden können, daß sie jeweils ihrer Lage und ihren Bedürfnissen entsprechen. Mit dem dann erworbenen Diplom sollen sie etwas anfangen können. Das Langzeitziel ist ein Asiatisches Institut für Änderungsprozesse (Asian Institute for Transformational Processes). Der Grundgedanke ist dem des Sekhiyadhamma-Bildungswerkes ähnlich, es soll aber für den Großteil Asiens dasein, alle religiösen Traditionen umfassen und eng mit den asiatischen Nicht-Regierungsorganisationen zusammenarbeiten.
Richtige Führung ["richtiges Bestreben"] Der zweite Aspekt des Gesellschaftlichen Pfades wäre, entsprechend dem "richtigen Bestreben" (samma sankappa), die richtige Führung. Führung meint, die Gesellschaft in die richtige Richtung zu leiten, nämlich zu Frieden, Mitgefühl, Gerechtigkeit, Weisheit, gegenseitiger Hilfe, Selbständigkeit und anderen Werten, die im Dhamma begründet sind. Führende Gestalten zeigen diese Richtung nicht nur auf und erläutern sie, sondern sie motivieren und inspirieren die Menschen auch, entsprechend zu handeln. Wenn dies bei der Mehrheit der Gesellschaft auch noch nicht geschieht, so können wir doch zumindest in unseren eigenen Gruppen, Gemeinschaften und den Organisationen für gesellschaftliche Veränderung damit anfangen.
Wir müssen den Begriff Führung aus dem Autoritätsanspruch lösen, bei dem Menschen über andere herrschen und deren Erwachsenwerden verhindern, und ihn in etwas Dhammagemäßes umwandeln. Mit buddhistischen Gruppen und Einrichtungen können wir beginnen. In Siam neigen wir dazu, den vom Staat eingeführten Vorbildern zu folgen, seien es nun Monarchien oder Militärdiktaturen, statt daß wir uns am Gehalt der "Ordensregeln" (Dhamma vinaya) ausrichten.
Zu meiner eigenen Orientierung habe ich versucht, aus dem Beispiel meines Lehrers zu lernen, der den Buddha zum Vorbild nahm. Achan Buddhadasa verließ sich mehr auf moralische Vollmacht als auf die Macht von Gesetz, Ökonomie oder Politik, obwohl Äbte in Thailand all das auch haben. Wie der Buddha versuchte er aufzuzeigen, was richtig ist und wie und warum es angepackt werden muß. Sein Ansatz war es, etwas zu erklären, zu motivieren und zu inspirieren, anstatt für andere zu entscheiden oder sie zu beherrschen. Er weigerte sich, ein Regelgebäude für [sein Kloster] Suan Mokkh auszuarbeiten, weil er fand, dies würde die Mönche kindisch und verantwortungslos machen.
Diejenigen von uns im Kloster, die sich auf ihn einließen, taten das, weil sein Leben und sein Tun mit seinen Worten übereinstimmten. Sein Beispiel von Selbstlosigkeit und Anteilnahme überzeugte uns davon, daß er keine geheimen Absichten verfolgte. Wenn unsere "Gruppen für buddhistische Praxis" und die "Gruppen für den Wandel der Gesellschaft" denselben Ansatz verwenden, dann werden unsere Mitglieder keine Führer mehr anerkennen, die Zwang ausüben, weder in unseren "Mönchsgemeinschaften" (sangha) noch in der Gesellschaft im ganzen.
Richtige Organisation und Regierung Führer können nicht ohne Organisation bestehen. Sie muß dann jedoch richtig sein. Es gibt da viele Möglichkeiten. Ich persönlich bevorzuge es, wenn sie dezentralisiert und lose strukturiert ist und bei Entscheidungsfindungen auf Übereinstimmung gesetzt wird. Das bedeutet, daß alle Glieder einbezogen sind und daß damit jeder für die Entscheidungen und ihre Durchführungverantwortlich ist. Wie immer aber der Entscheidungsprozeß abläuft, werden einzelne die Verantwortung für den Vollzug der Entscheidungen übernehmen. Deshalb brauchen wir außer richtiger Bildung zur Hervorbringung von Menschen, die wirklich an ihre Denk- und Entscheidungsfähigkeit glauben, auch unbedingt wirksame Kommunikation.
Auf einem Workshop im vergangenen Mai träumten wir in einer Gruppe die Vision eines grünen buddhistischen Siam. Nachdem wir verschiedene Dhamma-Prinzipien in Beziehung auf die bürgerliche Gesellschaft und lebendige, selbständige Gemeinschaften erörtert hatten, entwarfen wir die Vision eines Siam, wie es in 30 Jahren aussehen könnte. In einem "Neuen Siam" würden die Staatsgrenzen nicht mehr die wichtigste Grundlage der Verwaltung sein. Wir halten ein Gemeinschaftsmodell, das auf dem Subsidiaritätsprinzip beruht, für besser.
Alles, was auf kommunaler Ebene geplant und durchgeführt werden kann, wird auch dort getan. Dabei kann es sich je nach den Umständen um eintausend bis zehntausend Menschen handeln. Örtliche Schulen, Basisgesundheitsdienste, Theatergruppen, Museen und kleine Fabriken, die hauptsächlich für den lokalen Verbrauch produzieren - sie alle werden von den Gemeinden unterstützt und beaufsichtigt. Krankenhäuser, Informationszentren, Forschungsinstitute, Fernsehstationen, Organisationen, die den Handel zwischen den Gemeinschaften ermöglichen, sowie Betriebe mit anspruchsvollerer Technologie - alle diese Tätigkeitsbereiche sollten auf der mittleren Organisationsebene verwaltet werden, etwa in der Größe der gegenwärtigen Distrikte oder Provinzen. Die Kommunen müssen "Anteile" an diesen Körperschaften und Organisationen haben und Vertreter in deren Vorständen.
Über die Steuern und öffentlichen Einrichtungen würde nicht in einem Zwangssystem auf lokaler Ebene entschieden und dies dann an die nächst höhere Ebene vermittelt. Die Menschen werden die von ihnen gewünschten Dienstleistungen erhalten und auch bereit sein, dafür zu bezahlen. Die obere Organisationsebene wäre dann der regionale Lebensraum. Dieses Konzept wurde im Westen bereits ausführlich erörtert, und wir müssen nun über seine Auswirkungen auf Siam und Südostasien nachdenken. Möglicherweise können die Nationalstaaten und ihr politischer Apparat zusammenschrumpfen zu so etwas wie einem losen Rahmen für die Absprachen von Außenbeziehungen, für Einübung in gewaltlose Verteidigung und für Zusammenarbeit und für nicht viel mehr.
Ein Schwachpunkt dieses Modells liegt darin, daß es keinen Mechanismus zur Aufteilung des Wohlstandes aufweist zwischen den reicheren - aufgrund natürlicher Bodenschätze oder durch Vorteile aus Zeiten des alten Systems - und den ärmeren Gebieten. Auf jeden Fall aber würden die ärmeren Gebiete so eher in der Lage sein, das Vorhandene zu bewahren, als bei der derzeitigen Umverteilung von arm zu reich.
Richtige Kommunikation ["richtige Rede"] Der "richtigen Rede" (samma vaca) entspricht richtige Kommunikation. Als erstes müssen wir Kommunikationskanäle und -methoden entwickeln, mit deren Hilfe sich unsere "Gruppen für buddhistische Praxis" aufrichtig, freundlich, effektiv, nutzbringend und zum passenden Zeitpunkt miteinander verständigen können. Das heißt nicht, sich gegenseitig mit Informationen zu überfluten. Es bedeutet aber zu verstehen, worum es geht, und gute, wahrhaftige, brauchbare Informationen bereitzustellen, die auch wirklich verwendet werden können.
Es heißt umgekehrt auch Zuhören. Das bedeutet, daß wir in unseren Gruppen für eine anhaltende Diskussion sorgen, daß wir alle Stimmen hörbar machen, nicht mehr die Ansichten, Meinungen und Empfindungen anderer unterdrücken. Aus unseren Gruppen müssen alternative Mediennetzwerke des Volkes hervorgehen, die unter der Kontrolle der Gemeinschaft und Kommune vor Ort stehen. Alle Gruppen und Strömungen müssen Zugang zu den Kommunikationskanälen, den verschiedenen Medien haben.
Zuallererst müssen solche Kommunikationskanäle unseren "Gruppen für buddhistische Praxis" und den "Gruppen für Wandel der Gesellschaft" offenstehen und unterhalten werden, da wir ansonsten wohl kaum das kommunale Podium erreichen. Wir werden sonst einfach als "Gruppierungen" angesehen, denen es an ausreichender Geschlossenheit, an Vision und an Maßstäben mangelt. Schon Buddha sagte damals zu den Mönchen, daß regelmäßige Zusammenkünfte notwendig sind. Die Struktur der Zusammenkünfte hängt dann von Inhalt, Ziel und der jeweiligen Kultur ab.
Freunde in den Philippinen haben mir von der Drei-Wege-Kommunikation erzählt (ursprünglich in Deutschland entwickelt). Dabei finden jede Woche drei getrennte "Treffen" statt. Bei einem geht es um sachliche Fragen: Umgangmit einer Tagesordnung, um einen Tisch sitzen, Argumentationsstil. Ein zweites befaßt sich mit Gefühlen: gemütlich und informell, ohne Tagesordnung, keine richtigen oder falschen Urteile, Verletzungen und Freude dürfen gezeigt werden. Beim dritten geht es um Motivation und Spiritualität: weitergehende Fragen nach Sinn und Zweck, die Weltanschauung und innerste Herzensangelegenheiten müssen den langen Kampf begleiten und unterstützen. Das ist eine mögliche Herangehensweise. Jede Gemeinschaft muß diejenigen Formen entwickeln, die bei ihr funktionieren. 12)
Richtige Kultur ["richtiges Tun"] In Entsprechung zu "richtigem Tun" (samma kammanta) könnten wir als nächstes Bindeglied richtiges Gruppenverhalten benennen. Nicht nur unser persönliches, sondern auch unser gemeinsames Verhalten muß angemessen sein - wie wir uns in Gruppen und gegenüber "Außenseitern" verhalten. Gemeinde- und Arbeitsverpflichtungen sollten keinen ungebührlichen Streß verursachen. Die Arbeitskraft anderer sollte nicht ausgebeutet werden. Vor Gemeineigentum und ganz besonders vor Naturschätzen muß man Respekt haben. Mit Sexualität und Geschlechterrollen sollte vernünftig und gerecht umgegangen werden. Wir müssen jedem Suchtverhalten offen widerstehen und für ein Handeln eintreten, das zur Freiheit führt.
Unsere "Gruppen für buddhistische Praxis" und die "Gruppen für den Wandel der Gesellschaft" müssen kulturell stimmige Normen und Mechanismen entwickeln, um angemessene Verhaltensweisen zu fördern. Jede Gruppe muß ein Forum zur Diskussion von Verhaltensfragen anbieten. Nur so können wir ein prophetisches Modell für die Gesamtgesellschaft sein. Wir sind in allen Ländern eine Minderheit, selbst in sogenannten "buddhistischen Ländern". Unser aller Verhalten, insbesondere das unserer Führer, Sprecher und Lehrer, muß eine Anregung für Respekt, Freundschaft und Zusammenarbeit sein.
Thai-Freunde erzählten mir beispielsweise, daß vor der Übernahme der zuvor häuslichen Whiskyproduktion durch das Regierungsmonopol in den Dörfern sehr viel weniger getrunken wurde. Indem sie die Alkoholproduktion unterihren Einfluß brachte, machte die Thai-Regierung sie zu einer Industrie. Heute wird für Whisky und Bier überall Reklame gemacht. Können engagierte Buddhisten gegen solch unmoralisches Handeln auf seiten der Regierungen und der Unternehmen protestieren, besonders in der "Dritten Welt "? Die traditionelle Selbstversorgung würde den Leuten Geld, Gesundheit und glückliche Familien erhalten. "Selbstgebrannter" ist doch nicht so schlecht!
Thierry Verhelst vom "Süd-Nord-Netzwerk Kulturen und Entwicklung" gibt eine brauchbare Definition von Kultur: "...die komplexe Gesamtheit von Lösungen, die eine Gemeinschaft ererbt, übernimmt und erschafft, um mit den Herausforderungen ihres natürlichen und sozialen Umfeldes zurechtzukommen. Kultur ist unlösbarer Bestandteil des Alltags." 13)
Manche Freunde sehen den Schlüssel zur Kultur in den Werten, die ihr innewohnen. Die zugrundeliegenden Kulturformen wie Tanz, Kunst, Zeremonien, Kleidung, Sprache und Arbeitsweise bilden die kulturellen Werte, die sich dann auf Gestaltung und Ausdruck auswirken und ihre Motive darstellen. Wir müssen Methoden entwickeln, um die kulturelle Praxis in unseren Gruppen zu erkunden, damit wir sicherstellen können, daß sie auf guten Werten beruht. Partizipatorische praktische Untersuchungen über bekannte Fernsehshows, Werbung, Lieder, Kleidung, Geschlechterrollen, Arbeitsteilung und Organisationsmethoden können die zugrundeliegenden Werte aufdecken und sie einer Kritik anhand der Werte einer dhammagemäßen Gesellschaft zuführen.
Unsere Bewegung wird schließlich auch ohne die Mitwirkung von Künstlern keinen Erfolg haben können. In gemeinsamer Arbeit können wir Dhamma-Werte und soziales Handeln in der Gesellschaft verbreiten. Ortsübliche Unterhaltung, Lieder und Tanz - phantasievoll, eigenverantwortlich, bodenständig und als Träger von Dhamma-Werten - müssen die Ätherwellen und die Marktplätze zurückgewinnen.
Richtige Ökonomie ["richtiger Lebenserwerb"] Als nächstes betrachten wir die richtige Ökonomie. Sie entspricht dem "richtigen Lebenserwerb" (samma ajiva). Unsere Gemeinschaften, Organisationen und sozialen Bewegungen erfordern Mittel: für Nahrung, Kleidung, Arznei, Papier, Bleistifte, Kommunikationsgeräte u.a. Wir werden also Finanzmittel brauchen. Aber vor allem müssen wir die Art und Weise ändern, wiesolche Dinge hergestellt, verteilt und verbraucht werden. "Wir müssen eine Möglichkeit finden, Reiche und Arme so miteinander zu vereinen, daß sie gemeinsam an der Herstellung dessen arbeiten, was wir alle zu unserer Ernährung, unserem täglichen Bedarf und zu einem gesunden Leben benötigen. Und wiederum - alles, was darüber hinausgeht, könnte dann zum Wohle der Allgemeinheit verwendet werden. Das wäre die allerbeste Ökonomie - das wäre Dhamma-Sozialismus" (Buddhadasa Bhikkhu).
Wir müssen zu lernen beginnen, einfacher, wirkungsvoller und sparsamer bei Aneignung und Gebrauch von Rohstoffen zu sein. In der gesamten Gesellschaft müssen wir das Verständnis für Genügsamkeit wecken und eher zurückgeben als nehmen wollen. Eine wichtige Strategie dabei ist die Verringerung des Abstandes zwischen Erzeugern und Verbrauchern. Im Idealfall sollten sie einander kennen, so daß "liebende Güte" (metta) eine Rolle in der Ökonomie spielt - wie beispielsweise bestimmte Modelle von Verbrauchergemeinschaften in Japan oder von Stadtbewohnern, die Bio-Produkte einkaufen und im voraus bezahlen, um Bauern ein festes Einkommen zu sichern.
Gemeinden müssen sich wieder auf die Produktion zur Selbstversorgung verlegen. Der bloße Verkauf der eigenen Arbeitskraft und der Rohstoffe wird niemals eine "Wirtschaft" oder Gerechtigkeit oder Glück schaffen. Ländliche Gemeinden werden von Monokulturen zu integriertem Landbau überwechseln, von chemischer Landwirtschaft zu organischem Anbau und von einer Industriementalität zu einem Denken, bei dem das Land und die Leute im Mittelpunkt stehen - entsprechend dem Slogan "Laßt Land und Leute beisammen." (Keep the people and the land together) 14) Gemeindewälder werden auch für Nahrung, Fasern, Arzneien und für landschaftliche Schönheit auf einer nachhaltigen und örtlich geregelten Basis sorgen. Im übrigen werden alle daraus folgenden ökologischen Handlungsweisen sich wirtschaftlich günstig auswirken.
Was die städtischen Wirtschaftsformen angeht, so überlasse ich diese schwierige Aufgabe des "Umbaus", die ja radikal sein muß, denen, die in den Städten leben. Ich hoffe, sie können den Grundsatz "klein ist schön" einführen und damit aufhören, Verschmutzung und Armut aufs Land, in die Wälder und die freie Natur zu verfrachten.
Am Ende bleibt uns noch eine Hauptfrage. Wie stehen Buddhisten zu Eigentum? Ist privates Eigentum gerechtfertigt? Nach der "Disziplin" (vinaya) der "Gemeinschaft der Mönche" (bhikkhu-sangha) beschränken Mönche ihren persönlichen Besitz auf das Nötigste. Auch führende Laienanhänger habenden größten Teil ihres Reichtums fortgegeben, was aber nie gefordert wurde. Und wie denken wir?
Richtige Ökologie Ich glaube, daß das wichtigste ökologische Handeln in der kommunalen Kontrolle über die Ressourcen ihres Gebietes besteht. Auch wird es von Nutzen sein, wenn die regionale Bio-Sphäre auch den Rahmen für die politische Verwaltung abgibt. Auf diese Weise würde es schwierig werden, ökologische Notwendigkeiten einfach zu übergehen. Ländliche Kommunen werden ihre unmittelbare Umgebung säubern, indem sie auf die Verwendung von Pestiziden und chemischen Düngemitteln verzichten, durch die Erde, Wasser, Luft und Menschen vergiftet werden. Die Ackerflächen werden von Gemeindewald umgeben sein, der entsprechend den örtlichen kulturellen und ökologischen Gegebenheiten verwaltet wird. Diese Entwicklungen finden in Siam und anderswo bereits statt. Die tätige Unterstützung durch buddhistische Lehrer kann ein Segen für solche Aktivitäten sein, weil damit den wirtschaftlichen und ökologischen Anreizen auch spirituelle hinzugefügt werden.
Zwischen den die Kommunen umgebenden Gemeindewäldern werden wild belassene, wenig genutzte Naturschutzzonen liegen. Dadurch wird die Artenvielfalt erhalten, und sie werden Fortpflanzungsstätten aller Arten von Lebewesen sein. Straßen werden nach Möglichkeit nur durch die Gemeindewälder führen und nicht durch die Naturschutzzonen - Fahrverbot. Die Ordination von Bäumen, die Einrichtung von "Buddha-Kreisen" (Buddha mandala) und "Buddha-Äckern" (Buddha kheta), das Wiederbeleben der Tradition vom Freilassen und Füttern von Tieren, das Mitnehmen von Kindern zu "Waldprozessionen" (tudong) und die Durchführung von Meditations-Nachtwachen - all das kann dazu beitragen, diese Stätten und die dort lebenden Wesen zu beschützen.
Richtiges Spiel ["richtige Anstrengung"] An Stelle von "richtiger Anstrengung", "richtiger Energie" (samma vayama) möchte ich "richtiges Spiel" vorschlagen. Die Art, wie wir ausruhen und uns und unserer Gesellschaft neuen Antrieb geben, muß ausgeglichen und gesund sein und normalerweise Freude machen. Ich finde es notwendig, zumindest auf dem Weg zu einer dhammagemäßen Gesellschaft, daß wir gesunde und schöpferische Formen des Spiels haben. Sie sollen Freundschaft, Vergnügen und Freude bringen. Sie sollen uns die Möglichkeit geben, etwas zu lernen und unsere Begabungen zu entfalten. Dabei geht es auch um Lieder, Gesellschaftsspiele, Kunst, Tanz und Sport, sofern sie Dhamma-Werte fördern. 15) Wenn wir diese Fähigkeiten nicht phantasievoll entwickeln, wenn wir nicht Künstler für unsere Sache begeistern können, werden wir nie eine gesellschaftlich wichtige Kraft werden. In einem voll ausgereiften Dhamma-Sozialismus wird dann vielleicht alles bisher Besprochene spielerisch vor sich gehen. Aber ich denke, an dieser Stelle müssen wir erst einmal achtsam über Rechtes Spiel nachdenken. Wir sollten uns Buddhas Hinweis auf Meditationsspiele (jhanakila) in Erinnerung rufen. So nämlich hat der Buddha gespielt.
Richtige Aufsicht ["richtige Achtsamkeit"] Richtige Aufsicht entspricht "richtiger Achtsamkeit" (samma sati). 16) Jede Gesellschaft braucht Mechanismen zum Beobachten der Vorgänge, deren viele verschiedene Faktoren wir besprochen haben. Wir brauchen einzelne und Gruppen, die das Geschehen verfolgen, und jeder muß Zugang zu diesem Aufsichtssystem haben. Wir wollen nicht einige wenige, die andere überwachen, sondern wir alle zusammen wollen das Ganze überwachen. Dessen ungeachtet wird es aber Gruppen und einzelne geben, die unser Vertrauen haben und die diese besondere Pflicht übernehmen. Es wäre wunderbar, wenn sie den Gemeinschaften buddhistischer Praxis (engl.: practice sanghas) angehörten, um damit sicherzustellen, daß diese Vertrauenspersonen integer sind und einfühlsam arbeiten. Und natürlich müssen die Systeme so transparent sein, daß es überhaupt möglich ist, sie zu überwachen.
Zur Beobachtung der Funktionäre und Mitarbeiter unserer "Gruppen für buddhistische Praxis" und "für den Wandel der Gesellschaft" müssen wir so etwas wie "Ombudsleute für Moral" einführen. Das können Gruppen von Ältesten und geistlichen Führern sein, die fähig sind, gesellschaftliche Entwicklungen zu verfolgen und das Verhalten von Führern, Funktionären und Behörden zu beobachten. Auf allen Ebenen von Planung und Verwaltung werden sie verfassungsgemäß befugt sein, Beschwerden entgegenzunehmen, Untersuchungen durchzuführen und entsprechende Sanktionen festzulegen. Sie tragen zur Absicherung bei, daß Führer und Funktionäre durchschaubar, verläßlich und wirklich repräsentativ sind. Der Schlüssel dazu ist ihre Redlichkeit und daß sie von der Gemeinschaft anerkannt sind. Wenn wir dieses Vertrauen auf kommunaler Ebene wiederbeleben können, dann können wir auch auf Reformen der oberen Ebenen drängen. Eine Gefahr, die wir vermeiden müssen,liegt in engstirnigen Interessen, wie zum Beispiel die [rechte US-amerikanische Lobby-Organisation für Präsidentschaftswahlkämpfe] "Moral Majority", die die Moral für politische und sektiererische Zwecke benutzt.
Welches sind nun die gesellschaftlichen Entsprechungen der vier Grundlagen der Achtsamkeit? Ein Werkzeug der richtigen gesellschaftlichen Achtsamkeit ist richtige Sozialforschung. Und wodurch wird sie "richtig "?
Richtige Gemeinschaft (sangha) und richtige Solidarität ["richtige Konzentration"] Das letzte Element des Edlen Achtfachen Pfades, nämlich "richtige Konzentration" (samma samadhi), könnte sich mit richtiger Gemeinschaft oder richtiger Solidarität decken. Auf die Einzelperson bezogen ist "Konzentration" (samadhi) ein einheitliches, ausgeglichenes, klares Bewußtsein. [Traditionell als nicht-dualistischer Versenkungszustand in der Meditation verstanden.] Kollektiv gesehen ist es Einheit, Harmonie und Zusammengehörigkeit innerhalb einer Gruppe oder einer Gemeinschaft. Das ist in unserem modernen Individualismus nur unter großen Schwierigkeiten zu entfalten. Ich glaube deshalb, daß wir alle, die wir einem gesellschaftlichen Wandel im buddhistischen Sinne verpflichtet sind, besondere Aufmerksamkeit darauf verwendenmüssen, wie wir Bindungen untereinander in Gemeinschaft entwickeln, pflegen und erhalten können. Und nicht nur in unserer persönlichen Gemeinschaft, sondern auch zwischen dieser und anderen Gemeinschaften.
Eine bewußt buddhistische Gemeinschaft sollte großes Gewicht auf die vom Buddha geäußerten Grundsätze für gemeinschaftliches Leben legen, insbesondere auf die sechs saraniya dhamma [Prinzipien des Zusammenlebens]. Dies sind sechs Faktoren, die für eine harmonische, glückliche und gesunde Gemeinschaft notwendig sind.
Die ersten drei besagen, daß alles, was wir mit unserem Körper, mit Worten oder Denken tun, von Güte und Freundlichkeit (metta, "liebende Güte") motiviert und durchdrungen sein soll. Die Tätigkeiten untereinander sollten aus "liebender Güte" motiviert sein, das Reden unter uns sollte von "liebender Güte" motiviert sein, und nach bestem Vermögen sollten selbst unsere Gedanken aus "liebender Güte" motiviert sein. Weiter oben habe ich richtige Kommunikation erörtert. Richtige Riten und richtige Arbeit werden dann ebenfalls von "liebender Güte" erfüllt sein.
Das vierte Stück unter den sechsen ist das Teilen dessen, was man als Gaben oder Profite erlangt hat (sadharana bhogi, "Teilen von ehrlichem Gewinn"). Es mag zwar weiterhin privates Eigentum geben, aber dieser Umstand wird aufgewogen durch die Freude am Teilen. Je mehr geteilt wird, desto mehr haben wir gemeinsam. So etwas kann jedoch nicht gesetzlich geregelt werden. Kinder müssen es am Beispiel lernen. Jeden Freitagabend, wenn seine Neffen ihn besuchten, gab der ehrwürdige Meister Buddhadasa dem älteren der Brüder ein paar Früchte oder Plätzchen und sagte, er solle sie mit den Jüngeren teilen. Der Ältere empfand seine Rolle als eine Ehre, und die Jüngeren erhielten ihren gerechten Anteil. Wenn wir diesen Grundsatz langsam in unserem je eigenen Tempo übernehmen, müssen wir als Erwachsene geduldig miteinander sein.
Das fünfte Stück sind "gemeinsame moralische Grundsätze" (sila samannata, "Verhaltensregeln untadelig in der Gemeinschaft einhalten"). Das bedeutet, daß man gemeinsame Maßstäbe und Auffassungen über Verhalten, Lebensstil, Recht und Unrecht hat. Sobald sich eine Situation verändert, müssen Richtlinien angepaßt werden. Deshalb muß jede Gemeinschaft im Umgang mit ihren Maßstäben einen ständigen Prozeß gemeinsamer Reflexion aufrechterhalten. Neuankömmlinge, seien es Kinder oder Erwachsene, müssen in diesen Prozeß eingeführt werden. Es darf niemandem gestattet sein - auch Lehrern nicht - diesen Prozeß selbst in die Hand zu nehmen. Ich wiederholenoch einmal, daß bereits eine Vielzahl von Modellen und Ansätzen für diese Art der Arbeit entwickelt worden ist, und verschiedene Freunde des Internationalen Netzwerks Engagierter Buddhisten sind Fachleute darin, Gruppen bei der Einführung zu helfen.
Das letzte saraniya dhamma ist eine "gemeinsame Sichtweise" (ditthi samannata). Sichtweise umfaßt hier unsere Vision vom Leben und der Gemeinschaft, aber auch unser Glaubenssystem und unsere geistige Grundstruktur sowie die Theorien und Standpunkte, aufgrund derer wir handeln. Das allerwichtigste aber ist unsere Sichtweise des Buddha-Dhamma. All das muß nicht von Mensch zu Mensch gleich sein. Entscheidend ist, daß wir genügend Übereinstimmung und grundsätzliche Ausrichtung haben, um einen gemeinsamen Weg gehen zu können. Eine Vision muß nicht festgelegt oder starr sein. Sie sollte sich entwickeln und wandeln, so wie es die Gemeinschaft auch tut.
Ich glaube, das wichtigste und nötigste Element einer Gemeinschaft, die bewußt miteinander umgeht - anders als in der Familie, die man nicht wählen kann - besteht darin, eine gemeinsame Vision und ein Ziel zu haben, die uns zusammenhalten. Wir dürfen uns nicht einfach auf einen Lehrer oder einen Text verlassen. Wir müssen in Gruppen lernen und häufig miteinander diskutieren, um den Prozeß von Reflexion und Entdeckungen-machen voranzutreiben. Jede Gemeinschaft hat einen tiefen Sinn und Zweck, auch wenn die Menschen diesen besonderen Sinn noch nicht erkannt haben. Letzten Endes muß jede Gemeinschaft, die erfolgreich bestehen will, ihren Sinn entdecken und ihm getreu folgen.
Abschließende Betrachtungen über den Pfad Wir haben also nun versucht, den Edlen Achtfachen Pfad anhand von solchen Begriffen auszulegen, die eine Bedeutung für die gesamte Gesellschaft haben. 1. Richtige Religion 2. Richtige Bildung 3. Richtige Führung 4. Richtige Organisation und Regierung 5. Richtige Kommunikation 6. Richtige Kultur 7. Richtige Ökonomie 8. Richtige Ökologie 9. Richtiges Spiel 10. Richtige Aufsicht 11. Richtige Gemeinschaft und Richtige Solidarität.
Ist das eine lohnende Anstrengung? Hilft uns das, im Buddha-Dhamma tiefere Wurzeln zu schlagen? Macht es unsere gesellschaftliche Rolle und Verantwortlichkeit deutlicher? Kann es das Interesse von Buddhisten auf sich ziehen, deren Praxis oder soziales Engagement schwach ist? Helfen Sie mit, Antworten auf diese Fragen zu geben.
Fähigkeiten, die im Menschen liegen Die Analyse des Buddha von "Leiden" und von dessen Beendigung ist auch eine Analyse der menschlichen Fähigkeit zur Spiritualität. Das Ziel, die höchste Entfaltung unserer Spiritualität, wird in der Dritten Edlen Wahrheit ausgedrückt. Diese Entfaltung ist aber ebenso in der Vierten Edlen Wahrheit enthalten, was jedoch oft übersehen wird. Wenn wir immer davon reden, den Edlen Achtfachen Pfad zu erschließen, müssen wir auch erkennen, daß alle Faktoren des Pfades natürlicherweise bereits in uns selbst vorhanden sind, wenn auch unvollständig entwickelt.
Mit Hilfe dieser Beobachtung können wir unsere sittlichen, geistigen und spirituellen Möglichkeiten erkennen und analysieren. Genauso kann mit den Möglichkeiten von sozialen Bewegungen verfahren werden. Die menschliche Geschichte ist mehr als bloß ein böser Traum. Es ist manches erreicht worden. Wir haben durchaus etwas dazugelernt. Wir können das hier nicht im einzelnen untersuchen, aber jedenfalls müssen wir mit mehr Sorgfalt die Möglichkeiten einschätzen lernen, die in uns, in unserer Gemeinschaft und in unserer Kultur bereits vorhanden sind.
Im Verlauf dieses Vortrages haben wir auf vielfältige Weise angesprochen, wie die unterschiedlichen Faktoren des Pfades voneinander abhängig sind. Auch das spiegelt die Wirklichkeit des Pfades wider. Alle Faktoren sind untereinander abhängig, keiner steht für sich allein. Wir befinden uns im Anfangsstadium und mühen uns noch damit ab, Anfangsprojekte und Initiativen zu betreiben. Wenn wir weitere Schritte machen, müssen wir jedoch nach Wegen suchen, wie sich die verschiedenen Faktoren in uns selbst, in unseren Gruppen und Gemeinden und in unserer Bewegung ineinander integrieren lassen.
Dieser kurze Blick auf den Pfad zur Dhamma-Gesellschaft deutet darauf hin, daß es viele Möglichkeiten für weiteres Nachdenken und Experimentieren gibt. Ich hoffe, daß wir mit der systematischeren Erforschung dieser Bereiche die Arbeit des Internationalen Netzwerks Engagierter Buddhisten fortsetzen können. Viele unserer Ideen sind bisher unklar und ungeprüft. Weist dasdaraufhin, wie jung unsere Bewegung noch ist? Oder wie lose unser Netzwerk noch geknüpft ist? Zeigt es das ungeheure Ausmaß der Aufgabe? Wie dem auch sei, lassen Sie uns klein anfangen und uns über kleine Erfolge freuen. Lassen Sie uns einfach etwas gemeinsam anpacken und bei der Arbeit voneinander lernen.
Ich sehe keine Schuld darin, daß diese Ideen hier nur in solcher Unvollständigkeit und Begrenztheit angesprochen sind. Ich bin davon überzeugt, daß mit all dem kein einzelner fertigwerden kann. Das Zeitalter der Einzelpropheten ist vorüber. In unserer Zeit müssen Lösungen gemeinsam erarbeitet werden. Diesist das Zeitalter für Prophetische Gemeinschaften. Ich hoffe, daß die Elemente des "Edlen Elffachen Pfades", wie ich ihn nannte, von Mitgliedern des Internationalen Netzwerks Engagierter Buddhisten umgesetzt, überprüft, vervollständigt und weiterentwickelt werden. Dann können bessere, das heißt nachvollziehbare und erfolgversprechende Formulierungen gefunden werden. Wir müssen weiterhin miteinander teilen und uns austauschen.
Achan Buddhadasa betonte häufig, daß der Edle Achtfache Pfad in sich selbst nicht genügt. Die acht Faktoren sind lediglich die Kette der Ursachen, und wir haben es nicht geschafft, bevor nicht die Kette der Früchte entsteht. Daher erinnerte er uns daran, mit Ernst die zehn Glieder des "Richtig-seins" (sammatta) zu bedenken. Obwohl der Buddha im Tipitaka die zehn Glieder des "Richtig-seins" oft gelehrt hat, hat die Theravada-Tradition die beiden letzten Faktoren weitgehend übersehen.
Wenn der Pfad einmal vollständig und korrekt entwickelt ist, werden ein "richtiges Wissen aus Einsicht" (samma nana) und "richtige Befreiung" (samma vimutti) entstehen. Das richtige Wissen aus Einsicht würde dann bedeuten, daß wir Wahrheit und Geheimnis harmonischen Zusammenlebens im tiefsten Sinne kennen. Richtige Befreiung würde dann die dhammagemäße Gesellschaft bedeuten, die frei ist von Selbstsucht und eigennützigen Gesellschaftsstrukturen, von Unterdrückung, von Entfremdung und von "Leiden". Am Ende wird sich die Richtigkeit unseres engagierten buddhistischen Pfades darin zeigen, daß er uns richtige Einsicht und richtige Befreiung bringen kann.
Vielen Dank, daß Sie diesem langen Vortrag mit so freundlicher Geduld gefolgt sind. Ich freue mich über jeden Kommentar, jede Kritik und jeden Vorschlag von Ihnen.
Übersetzung aus dem Englischen: Gisela Köberlin
Fußnoten:
Links zum Thema:
Buddhadasa and Dhammic Socialism
INEB Think Sangha
Welcome to Suan Mokkh
Copyright 2004 © by Netzwerk engagierter Buddhisten
Dieser Vortrag wurde gehalten auf der INEB-Konferenz "Dhammagemäße Gesellschaft - das Internationale Netzwerk Engagierter Buddhisten entdeckt seine Aufgabe" (Dhammic Society: Towards an INEB Vision). Sie fand im Frühjahr 1995 in einem thailändischen Kloster statt.
Die deutsche Fassung erschien erstmals in dem Buch: Wege zu einer gerechten Gesellschaft, Beiträge engagierter Buddhisten zu einer internationalen Debatte. Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg 1996.
Als Mitveranstalter dieses Symposions kann ich Ihnen nicht gut für die Ehre meines Hierseins danken. Außerdem gilt meine Anwesenheit auch der Ehre des verstorbenen Buddhadasa Bhikkhu [im Thai steht bhikkhu/Mönch hinter dem Namen]. Jedenfalls kann ich aber meine Freude darüber ausdrücken, daß dieses Symposion mit der Hilfe vieler Freunde zustande gekommen ist. Wir fühlen uns geehrt durch die Reaktion und das Interesse. Mögen wir hier gemeinsam etwas von bleibendem Wert erarbeiten.1)
In diesem Beitrag möchte ich gewisse allgemeine Prinzipien der "Buddha-Lehre" (Buddha-Dhamma) und Gesellschaft erörtern, die der ehrwürdige Buddhadasa Bhikkhu über Jahre hinweg thematisiert hat. Da er einer der ursprünglichen Schirmherren des Internationalen Netzwerks Engagierter Buddhisten (International Network of Engaged Buddhists, INEB) ist, wollen wir gern seine Vorstellungen in dieses Symposion einbringen. So beruht also dieser Beitrag auf den Überlegungen des ehrwürdigen Buddhadasa Bhikkhu, so weit und so gut der Verfasser sie eben verstanden hat. Ich werde jedoch von seinen Gedanken ausgehend auch einiges ausführlicher darstellen, als er es öffentlich getan hat. Der Beitrag wird also zunächst die grundlegenden Vorstellungen Achan Buddhadasas zu einem im Dhamma begründeten Sozialismus (Dhammic Socialism), also einem Dhamma-Sozialismus darlegen. Im Fortgang werde ich dann ausführlich entsprechend meinem eigenen Verständnis und meiner Erfahrung auf einzelnes eingehen. 2)
Achan Buddhadasa bezeichnete die Grundsätze, die hier diskutiert werden sollen, als "Dhamma-Sozialismus". Diesen Begriff hat er in den beiden letzten Jahrzehnten seines Lebens wiederholt gebraucht. Jedenfalls hat er das Prinzip bereits diskutiert, lange bevor diese Bezeichnung entstand. Manche der Ideen reichen sogar mindestens zu einer Rede aus dem Jahre 1954 zurück, nämlich "Buddha-Dhamma und der Geist der Demokratie". Außerdem hätte Ehrwürden Achan selber gesagt, daß diese Ideen bereits in der im Pali Tipitaka überlieferten ursprünglichen Lehre des Buddha enthalten sind. Der Einfachheit halber werde ich die Bezeichnung "Dhamma-Sozialismus" gebrauchen, um die Grundideen zu umfassen, die seine Vision einer Dhamma-Gesellschaft ausmachen ( "Dhammic Society ") [also eine Gesellschaft, die auf die Verwirklichung des Dhamma gegründet ist]. 3)
Teil 1Die Grundstruktur der 'Vier Edlen Wahrheiten' Grundlage dieser Abhandlung sind die "Vier Edlen Wahrheiten" [vgl. Glossar]. Dem Denken Achan Buddhadasas lagen diese stets zugrunde, und genauso möchte ich es hier auch halten. Das ist aus verschiedenen Gründen nützlich für uns. Erstens hält es uns bei der Sache, und wir haben das Ziel des Buddhismus vor Augen - das Ende von "Leiden" (dukkha, künftig wiedergegeben als "Leiden"). Die ständige Ausrichtung auf die wahre Aufgabe des Buddhismus wird uns vor der Ablenkung durch zweitrangige Ziele bewahren. Letzteres ist leider auch unter engagierten Buddhisten eine allgemeine Erscheinung.
Zweitens sind die "Vier Edlen Wahrheiten" ein Lehrinhalt, den der Buddha selber wiederholt voller schöpferischer Kraft ausführlich dargelegt hat. Wenn wir also diesen Ansatz wählen, dann gehen wir von der Grundlage des Denkens, der Erfahrung und der Lehre des Buddha selber aus. Außerdem ist der Rahmen der "Vier Edlen Wahrheiten" vollkommen und umfassend. Er behandelt die Hauptgesichtspunkte aller nur denkbaren Situationen, Probleme oder Tatsachen, denen wir begegnen, so wie wir hier beispielsweise über die Schaffung einer dhammagemäßen Gesellschaft diskutieren. Letztlich sind sie ein vernünftiger Rahmen, innerhalb dessen wir mit der gebotenen Tiefe und Ausführlichkeit nachdenken, untersuchen und analysieren können. Deshalb werden die "Vier Edlen Wahrheiten" der Rahmen meines Vortrags sein.
Obwohl alle Buddhisten mit dieser Lehre vertraut sind, wird es doch manchen von uns nützlich sein, unsere Gedanken dazu neu zu erwägen und neue Anwendungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Achan Buddhadasa hat von den "Vier Edlen Wahrheiten" oft als von dem buddhistischen Weg der Problemlösung gesprochen. Dabei hat er sie leicht umformuliert und in Frageform gebracht:
Um welches Problem geht es?
Woher rührt es?
Was ist sein Zweck oder Ziel?
Wie bewerkstelligen wir das?
Die "Erste Edle Wahrheit" lenkt uns auf das Problem [die Wahrheit vom Leiden]. Es gibt eine Aufgabe, und unsere Pflicht als Menschen und als engagierte Buddhisten ruft uns dazu auf, uns ihr zuzuwenden. Zweitens entsteht jedes Problem durch Ursachen und Bedingungen. Diese müssen erforscht und verstanden werden, damit wir das Problem lösen können. Drittens hat das Problem ein Ende. Es gibt einen Zustand oder eine Wirklichkeit, da das Problem nicht mehr existiert. Achan Buddhadasa hat davon manchmal als von dem Zweck des Problems gesprochen. Der Zweck von "Leiden" ist beispielsweise, uns auf den Zustand oder die Wirklichkeit hinzuweisen, wo kein "Leiden" ist, und das ist "Verlöschen" (Nibbana). Und viertens ist da die Problemlösung, nämlich die praktischen Schritte, die wir in Tat, Wort und Geist unternehmen müssen, um die Ursachen des Problems zu beseitigen und so sein Ende zu verwirklichen.
Die vier Fragen in Pluralform sind dann ein zweckmäßiger Rahmen zur Erforschung gesellschaftlicher Tatsachen:
Um welche Probleme geht es?
Woher rühren sie?
Was ist ihr Zweck oder Ziel?
Wie erreichen oder verwirklichen wir das?
Mit diesem Muster sind die meisten Buddhisten zwar vertraut, aber es besteht eine allgemeine Neigung zur Verzerrung. Manche personalisieren es zu sehr, andere abstrahieren oder verallgemeinern es übermäßig. Dem entgegen werde ich ein paar Anregungen geben, die uns helfen sollen, die "Vier Edlen Wahrheiten" richtig anzuwenden.
In der Ursprungsfassung dieser Wahrheiten sprach der Buddha weder von "meinem "Leiden" (dukkha) noch von "deinem "Leiden". Er redete einfach von "Leiden" - es gibt "Leiden". Es ist wichtig, daß wir uns dieser Tatsache bewußt sind und die "Vier Edlen Wahrheiten" nicht übermäßig personalisieren, so daß sie nicht lediglich eine Angelegenheit "meines "Leidens" und des Loswerdens "meines "Leidens" werden. Viele Buddhisten sind schon in diese Falle gegangen, und darum sind so viele von ihnen unbekümmert um das unsägliche "Leiden", das sie in der Welt umgibt. Diese Beobachtung trägt zur Erklärung bei, warum viele sogenannte Buddhisten sich einfach in sich selbst zurückziehen, ohne sich verantwortlich an gemeinschaftlichen Bemühungen zu beteiligen, die das "Leiden" der Gesellschaft auflösen sollen.
Andererseits gibt es viele - die "Wohltäter" - die sich sehr darum bemühen, andere von ihrem "Leiden" zu befreien. Wir finden solche Leute häufig in den Reihen der Aktivisten. Sie sind so sehr um das "Leiden" anderer besorgt, daß sie das "Leiden" in sich selber nicht mehr sehen können. Wir müssen also auch die Falle des "dein "Leiden" und "ihr "Leiden" vermeiden. Es verwirrt uns nur, wenn wir glauben, daß "Leiden" abgetrennt und aufgesplittert werden kann. Wir wollen versuchen, ein solches Durcheinander zu vermeiden.
Das "Fahrzeug des Buddha" (Buddhayana) In ähnlicher Weise müssen wir die Beschränkung des "Hinayana" (Kleines Fahrzeug) und die Überheblichkeit des "Mahayana" (Großes Fahrzeug) meiden. Enges "Hinayana"-Denken ist nur um die persönliche oder individuelle Befreiung bemüht. Das war aber eindeutig nicht das Ziel des Buddha. Beim Studium der Pali-Schriften der Theravada-Überlieferung wird offensichtlich, daß den Buddha vom Tage seines Auszugs [aus dem behausten Leben] an stets das "Leiden" aller Wesen interessiert hat, nämlich sein eigenes "Leiden" und das "Leiden" derer um ihn herum.
Andererseits müssen wir die Überheblichkeit des sogenannten "Mahayana"-Standpunktes vermeiden, nämlich "ich werde das "Leiden" anderer auflösen". Unter dieser Täuschung läuft eine Reihe von "Einzelmönch-Shows". Der Gedanke oder der Anspruch, man wäre irgendwie für die Befreiung aller Wesen verantwortlich, ist eine übertriebene Haltung. Auch würde das wohl manche zu törichtem Aufgeben veranlassen, wenn ihnen klar wird, daß niemand das alles allein tun kann. Stattdessen möchte ich empfehlen, daß wir dem Pfad des "Buddhayana" folgen [also: "Fahrzeug des Buddha"].
Buddhayana unterscheidet nicht ausdrücklich zwischen "meinem "Leiden", "deinem "Leiden" und "ihrem "Leiden". Vielmehr sucht Buddhayana das "Leiden" zu löschen und auszuschalten, wo immer es auftritt. Buddhayana geht nicht von der Annahme aus, die Probleme anderer lösen zu können, will aber anderen dienen, sie unterstützen und ihnen bei der Lösung ihrer Probleme helfen. Buddhayana wirkt auf der Ebene von Partnern und "geistlichen Freunden" (kalyana-mitta). Zweitens erkennt Buddhayana an, daß wir uns mit den eigentlichen Ursachen befassen müssen, um "Leiden" zu beenden und die Probleme zu lösen. Wir müssen sorgfältig und genau nachforschen, bis wir uns über die Grundursachen unseres inneren und äußeren "Leidens" klar sind, über unsere persönlichen und gemeinsamen Probleme. Wir können uns nicht länger mit einer oberflächlichen Analyse zufriedengeben, die sowohl gesellschaftlichen Aktivismus als auch einen Großteil der religiösen Praxis beherrscht haben.
Drittens beruht Buddhayana auf den sich ergänzenden Prinzipien von "miteinanderin Beziehung stehen" (idappaccayata) und "Leerheit" (sunnata). Das Miteinander-in-Beziehung-stehen ist die Tatsache, daß alle dhammas, das heißt alle "Phänomene", durch andere Phänomene bedingt sind und damit durch ein unendliches Geflecht aus Miteinandersein und durcheinander Bedingtsein verbunden sind und zusammenhängen. Wenn es dieses ausgedehnte Netz der gegenseitigen Abhängigkeit gibt, dann kann es kein einziges Wesen oder Selbst geben, das unabhängig und durch sich selbst existiert. Die Wirklichkeit von Leerheit ist die: in einem voneinander abhängigen, gegenseitig sich bedingenden Universum wie diesem gibt es kein unabhängiges Wesen oder Selbst. Auf dieser Erkenntnis beruht Buddhayana. Aus einem solchen Blickwinkel heraus muß dualistisches Denken fallengelassen werden - nämlich allzu sehr unterscheiden zwischen "meinem "Leiden" und "deinem "Leiden", oder zwischen Hilfe für mich und Hilfe für andere.
Dieses Doppelprinzip von "miteinander in Beziehung stehen" (idappaccayata) und "Leerheit" (sunnata) wird sich ebenso wie der Rahmen der "Vier Edlen Wahrheiten" durch diese Abhandlung ziehen; sonst wäre sie nicht wirklich buddhistisch.
Buddhisten und Probleme An dieser Stelle könnten wir über die rechte Art nachdenken, wie Buddhisten gesellschaftliche Aufgaben erkennen, sich darauf konzentrieren und sie debattieren. Ich selber verfange mich häufig in den Problemen. Ich verliere den klaren Durchblick, wenn ich über gesellschaftliche Fragen nachdenke. Anhand meiner eigenen Fehler möchte ich gern vorläufige Empfehlungen geben in der Hoffnung, daß anwesende Freunde sie korrigieren und erweitern.
- Wir sollten uns stärker darum bemühen, eine herrschende Macht oder Prozesse zu durchschauen und nicht mit dem Finger auf bestimmte Personen oder Gruppen deuten. Gewisse Gruppen kann man zwar durchweg mit sozialen Problemen und ihren Ursachen in Verbindung bringen. Es lenkt uns nur ab und schafft Feinde, wenn wir sie beschuldigen.
- Wir müssen in angemessener Weise kritisch sein. Das Festbeißen an Kritik bringt andere in eine Abwehrhaltung und macht uns selbst hart und unglücklich.
- Wir sollten danach streben, die kulturellen, sittlichen und spirituellen Aspekte von Problemen zu beleuchten. Wirtschaftliche und politische Analysen von anderen sollten innerhalb dieses Rahmens eingebracht werden.
- Wir dürfen nicht im Gewölk unserer hochfliegenden Ideale schweben. Viele Buddhisten in Thailand, insbesondere Mönche und berühmte Prediger, sind unfähig, irgendetwas Sachdienliches über gesellschaftliche Probleme zu sagen, weil sie sich weigern, sich außerhalb der allgemeinen Ideale und Prinzipien zu bewegen. Sie wollen oder können diese Ideale und Prinzipien nicht in konkreter Weise erläutern. [Vgl. Anm. 9, Chatsuman.]
- Wir müssen bereit sein, von all denen zu lernen und mit ihnen zu arbeiten, die sich phantasievoll für eine gerechte, friedfertige, grüne und nicht-sexistische Gesellschaft einsetzen.
Die gesellschaftlichen Erscheinungsformen von "Leiden"(dukkha) Ich möchte mich weiterhin mit den "Vier Edlen Wahrheiten" befassen, insoweit sie für eine Vision von einer dhammagemäßen Gesellschaft von Bedeutung sind. Ich werde hier nicht im einzelnen auf die inneren Ursachen von dukkha [künftig "Leiden"] eingehen, obwohl sie von Zeit zu Zeit berührt werden. Unser Blick richtet sich vielmehr auf das gesellschaftliche "Leiden", die Ursachen für soziales oder kollektives "Leiden", auf diese sogenannte dhammagemäße Gesellschaft, in der "Leiden" ausgeschaltet oder zumindest reduziert ist; und schließlich auf den Pfad, den wir zusammen gehen können, um die dhammagemäße Gesellschaft zu verwirklichen. Achan Buddhadasa hat das "Dhamma-Sozialismus" genannt.
Bevor wir die erste "Gesellschaftliche Edle Wahrheit" untersuchen, möchte ich kurz einige der vielen Formen von gesellschaftlichem "Leiden" betrachten. In der Annahme, daß alle Anwesenden ziemlich vertraut mit diesen Problemen sind, werde ich nicht in die Einzelheiten gehen. Wir müssen aber doch zumindest die Vielfältigkeit von "Leiden" andeuten, bevor wir uns an die Ursachen machen. Dabei wird offensichtlich werden, wie die verschiedenen Erscheinungsformen von "Leiden" "miteinander in Beziehung stehen" (idappaccayata).
Bei dieser ganzen Debatte dürfen wir nie vergessen, daß die sogenannten "sozialen Probleme" nicht von dem abgetrennt werden können, was wir vielleicht "persönliches Leiden" nennen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem "Leiden", das sich in uns als Individuen zeigt und das die gemeinsamen Probleme unserer Gesellschaft festigt und mitschafft, und andererseits den Strukturen in der Gesellschaft, die diese gemeinsamen Probleme befestigen. All dies zusammen beeinflußt uns vielfach und trägt damit zu dem persönlichen oder inneren "Leiden" bei, das uns plagt. Wegen der Themenstellung dieses Vortrags werden wir hauptsächlich von gesellschaftlichem "Leiden" reden. Damit unterstellen wir jedoch nicht, daß dieses verbreiteter oder wichtiger ist als das "Leiden" einzelner.
Eines der Problemfelder kann unter den Stichworten Ethik, Werte und Kultur zusammengefaßt werden. Die Ideologie des Konsums hat Vorrang und überrollt die Welt. Die Menschen verlassen sich nicht mehr auf ihre eigene Weisheit, Kultur und Erfahrung, sondern sie suchen Vergnügen und Glück in materiellen Dingen, die von der Konsumkultur hergestellt und angepriesen werden. Dadurch wird der Zusammenbruch der Gemeinschaft hervorgerufen. Einzelne Familien sind heute vor allem auf ihre eigenen Bedürfnisse und die Aneignung von Bedarfsgütern ausgerichtet. Daher zeigen sie weniger Bereitschaft, Zeit und Mühe in die Erhaltung von Bindungen und Verantwortung einzubringen, die die Gemeinschaft erhalten und fördern.
Wir finden also den Zusammenbruch der Gemeinschaft als Folge der Ausbreitung von Industrialisierung und der Ideologie des Konsums. Der Verfall hört aber damit nicht auf. Er setzt sich nicht nur zwischen Familien, sondern auch innerhalb von Familien fort. Das geschieht immer dann, wenn die Ebene derIndividualität Übermacht gewinnt und zum Zwang wird, wenn die Bande der Familie nicht mehr oder höchstens in ganz oberflächlicher Weise gepflegt werden. Diese in ihrer Überindividualität gefangenen Individuen der modernen Gesellschaft sind aber nicht nur ihren Familien und Gemeinschaften, sondern sogar dem eigenen Körper zunehmend entfremdet.
Durch die überhebliche Annahme, daß wir die Natur besitzen und beherrschen können, sind wir der natürlichen Welt entfremdet, aus der wir kommen und der wir nicht entfliehen können. Diese gedankliche, gefühlsmäßige und spirituelle Entfremdung hat ungeheure Umweltprobleme hervorgerufen, wie Überbevölkerung, Verschmutzung, das Fehlen naturbelassener und unberührter Gebiete, Verschandelung und Verlust der Artenvielfalt. Dazu gehört eine Weltsicht, die die Dinge nur auf ihren unmittelbaren Nutzen oder ihren materiellen Wert hin betrachtet - und häufig ganz einfach als Geldwert, wie zum Beispiel ein Wald lediglich als bestimmte Menge Festmeter Holz oder als Dollarwert gesehen wird. Menschen werden zu "Verbrauchern", das heißt, ihre Bedeutung entspricht ihrer Zahlungskraft, nämlich der Höhe des Profits, der aus ihnen gezogen werden kann. Aufgrund dieser Entmenschlichung sind wir auch spirituell entfremdet. Dieses ungeheure Problem zeigt sich heute im Zusammenbruch von Religion und Sittlichkeit, auch innerhalb des Buddhismus.
In diesen Problemkreis gehört auch die pädagogische Unfähigkeit, menschliche, sittliche und religiöse Werte zu vermitteln. Der gedankenlose, oft brutale Unfug, bar jeder menschlichen Qualität, der die Fernsehkanäle überflutet; der Mangel an Durchsichtigkeit, Ehrlichkeit, Verläßlichkeit und Führung in der Politik; die große Zahl von Menschen, die riesige Geldsummen auf den Finanzmärkten verdienen, ohne irgendetwas zum Wohle der Menschheit herzustellen, während sie gleichzeitig ungeheure Ressourcen binden durch Spekulationen mit Aktien, Optionen, Obligationen, Warentermingeschäften und anderen sogenannten Investmentformen; der Völkermord an Urbevölkerungen weltweit; die Ungerechtigkeit zwischen Männern und Frauen und noch vieles andere. Das sind einige der Probleme, über die wir reden könnten. Ich will nicht mehr Zeit darauf verwenden, da wir hier ja alle ganz vertraut mit diesen Dingen sind.
Strukturen der Selbstsucht Ich glaube, daß die tiefgründigen und ausführlichen buddhistischen Lehren über das "Selbst" (atta), die "Befleckung" (kilesa), das "Anhaften" (upadana) und über die anderen Ursachen von "Leiden" ein Werkzeug für die Menscheit sind, um aus ihrem Schlamassel herauszukommen. Lassen Sie uns also diese Lehren auf die Entstehung sozialer Probleme anwenden, auf die vielen Formen von gesellschaftlichem "Leiden". Ich werde versuchen, das hier aus dem Blickwinkel zu tun, den Achan Buddhadasa eingenommen hat.
Wir können die Ursachen und das Entstehen von gesellschaftlichem "Leiden" aus dem einfachen Blickwinkel der Selbstsucht untersuchen. Wenn wir unser persönliches "Leiden" unter Verwendung des Prinzips vom "bedingten Entstehen" (paticca-samuppada) analysieren, dann erkennen wir, daß es ganz und gar mit unserer eigenen Selbstbezogenheit oder Selbstsucht gekoppelt ist. Ebenso finden wir bei der Untersuchung sozialer Probleme, daß sie in gesellschaftlicher Selbstsucht verankert sind.
Ich nenne das "Strukturen der Selbstsucht". Selbstsucht bedeutet hier das alles übersteigende Befassen mit dem eigenen Selbst, der Familie, der Gruppe (Firma, Klasse, Religion, Rasse, Nationalität, Sportverein), so daß man die Bedürfnisse und das Wohlergehen anderer nicht wahrnimmt. Wenn die Selbstsucht überhandnimmt, kann es sogar zu bewußter Schädigung anderer kommen. In buddhistischer Analyse kommt solche Selbstsucht von "Begehren" (tanha) und "Anhaften" (upadana) an diesem "Begehren", also daher, daß es da ein "Ich" oder "Selbst" gibt, das begehrt. Daraus entstehen die Identifikationen und egoistischen Zustände des Geistes, um die herum sich unsere Selbstsucht bildet.
Diese "ursächliche Verknüpfung" geschieht nicht nur auf persönlicher Ebene, sondern auch allgemein, da gewisse Formen des "Begehrens" in unserer Gesellschaft immer verbreiteter auftreten. Bestimmte Neigungen sind in unsere sozialen Strukturen eingebaut. Wir haben bestimmte Übereinstimmungen in der Hautfarbe, der Sprache, Religion, Geschichte, Weltanschauung und anderem. Wir bilden ein gemeinsames Selbstbewußtsein und sind gemeinsam selbstsüchtig, was dann manchmal "nationales Interesse" genannt wird (oder Klassen- oder sonstwas-Interesse). Dies wiederum bringt "Strukturen der Selbstsucht" hervor, von denen ich einigen hier nachgehen möchte.
Eine ungefähre Entsprechung zu dem Wort "Selbstsucht" ist der Pali-Begriff kilesa ("Befleckung", das, was den Geist befleckt oder verdirbt). Wir können uns daher die grundlegenden Befleckungen vornehmen, die wir in der buddhistischen Praxis erforschen und ausmerzen wollen, und wir können sie dazu benutzen, bestimmte soziale Strukturen zu untersuchen. Das gibt uns ein einfaches, jedoch wirkungsvolles Instrument an die Hand, eines, das auf Sittlichkeit und Spiritualität beruht. 4) [Die grundlegende Befleckung ist Gier-Haß und Verblendung, lobha-dosa, moha.]
"Gier" (lobha): Kapitalismus und die Ideologie des Konsums Wir wollen nun die Gier betrachten. Wo sie in einer sozialen Struktur verankert ist, endet das in etwa beim Kapitalismus. Namhafte Vertreter der Kapitalismustheorie behaupten ganz unverfroren, Gier sei gut und notwendig. Damit ist Kapitalismus lediglich eine andere Bezeichnung für institutionalisierte, in Strukturen gegossene Gier. Wenn uns als Kindern die kapitalistische Lebensweise beigebracht wird, dann lernen wir, habsüchtig und ehrgeizig zu sein, also selbstsüchtig. Daraus folgt, daß die Gier, die sich normalerweise in jedem Menschen entwickelt, durch das Gefüge der uns umgebenden Gier verstärkt wird. Dadurch wird das Problem im Persönlichen und Gesellschaftlichen noch hartnäckiger. Das gilt weltweit, seitdem jetzt der Kapitalismus das herrschende wirtschaftliche System geworden ist. Auch die sogenannten "Sozialistischen Länder" übernehmen jetzt kapitalistische Mechanismen.
Der moderne Kapitalismus, insbesondere seit dem Zweiten Weltkrieg und der "Entwicklungsära", hat die systemische Gier noch einen Schritt vorangetrieben und damit die Ideologie des Konsums, den Konsumismus erzeugt. Hier wird die Rolle des privaten Eigentums noch gewichtiger. Während eine winzige Elite ihren Zugriff auf das Kapital einer Gesellschaft und die Produktionsmittel behauptet, wird die Mehrheit durch diese Struktur der Gier zu zwanghafter Anhäufung von "Gütern" (sind sie denn gut?) verleitet, im Trachten nach "sinnlichem Vergnügen" (kama) und Sicherheit. Weil sie so viel Plunder besitzen dürfen, merken sie gar nicht, daß jemand anderem die Gesellschaft gehört. Es kommt sogar oft vor, daß sie selber der Besitz von jemandem sind.
Der Tourismus schließlich verkauft Kulturen, Künste, Speisen, die Umwelt und Menschen in der ganzen Welt als Gebrauchsgüter für den Konsum. All dies sind nicht mehr Ressourcen, allen zugänglich für Wohlergehen, Verständnis,Zusammenhalt, Glück und Frieden, sondern es wird aufgekauft, zerstückelt und vermarktet. Den Ortsansässigen wird nicht einmal zugetraut, daß sie solche wichtigen Ressourcen verwalten können. Sie läßt man lediglich die Wäsche waschen, servieren, Taxi fahren und "Kultur-Shows" nach dem Geschmack der Tourismuskonsumenten vortragen.
In einem solchen System genügt es nicht, wenn einzelne Buddhisten die Ausmerzung der Gier für sich persönlich anstreben. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, die Struktur der Gier in ein System der "Nicht-Gier" (alobha) umzuwandeln. Es ist durchaus möglich, daß ein paar herausragende einzelne die Gier in sich selber ausschalten können. Sie würden jedoch auch weiterhin an einer Gesellschaft teilhaben und von ihr abhängen, die strukturell voller Gier ist. Wir anderen aber, die wir keine spirituellen Superstars sind, werden von der uns umgebenden Gier gerüttelt, verhext und manipuliert. Es wird uns sehr schwerfallen, das auszuschalten. Wir müssen es natürlich versuchen, aber wir könnten uns auch dafür einsetzen, uns selber, unseren Freunden und späteren Generationen diese Schwierigkeiten zu ersparen.
"Ärger" (kodha): Militarismus und Ungerechtigkeit Als nächste Befleckung möchte ich den Ärger nennen. Das Wort "Ärger" hat viele Synonyme - Abneigung, Wut, böser Wille, Zorn, was seine weitverbreitete Gebräuchlichkeit bestätigt. Wenn wir ärgerlich sind, möchten wir ausschlagen, verletzen, zerstören oder töten, ob es sich nun um einen Moskito, einen Rabauken in unserer Klasse oder um Leute in der Gesellschaft handelt, die wir nicht mögen. Unser Ärger zeigt sich immer dann, wenn wir uns gegen das "andere" wenden und beschließen, daß wir "sie" nicht mögen, weil sie anders sind, weil sie etwas haben, das wir auch haben wollen, oder wenn wir Spaß an der Erregung und dem Reiz des Ärgers haben.
Gesellschaftlich gesehen hat Ärger die strukturelle Form von Militarismus, als da sind: Armeen, Geheimdienste, ungeheure Waffenindustrien, Spionagesatelliten, Atomkraft (niemals für Frieden), zentralisierte Infrastrukturen und nationale Sicherheitsapparate der modernen Nationalstaaten. Wir schaffen diese Institutionen und Technologien unter dem Vorwand, uns vor "anderen" zu schützen. Sie werden jedoch viel häufiger im Angriff eingesetzt und sind oft durch Ärger motiviert. In der Mehrzahl der Länder werden sie gerade gegen die Bürger eingesetzt, die sie zu "beschützen" vorgeben. "Wir kennen viele Technologien, können unglaubliche Dinge im Weltraum tun, können Atome spalten und haben vielfältiges akademisches Wissen aufgehäuft. Aber was tun wir damit? Wir benutzen das alles nur, um die Vorteile und Interessen der Befleckung zu nutzen und voranzutreiben. Das wird uns deutlich an den Leuten, deren ganzes Bestreben es ist, die Welt zu beherrschen." 5)
Natürlichwissen wir, daß die Struktur des Militarismus historisch eng verknüpft ist mit wirtschaftlichen Interessen und in der modernen Welt mit dem Kapitalismus und mit den meisten modernen Strukturen der Politik, ob nun links oder rechts. Dieser Militarismus - national, regional (zum Beispiel NATO) und global - ist eine einzige Darstellung strukturellen Ärgers.
Struktureller Ärger taucht auch in unseren sogenannten "Gerechtigkeitssystemen" auf, die von vielen Ländern zur Kontrolle benutzt werden. Strafe trifft diejenigen, die keine Macht haben. In vielen Fällen sind die Bestraften die Armen, die Minderheiten und die Frauen. Wenn zum Beispiel in den Vereinigten Staaten ein Mann seine Frau tötet, kommt er oft innerhalb von fünf Jahren aus dem Gefängnis. Falls aber eine Frau ihren Mann tötet, selbst wenn er sie jahrelang brutal geschlagen hat, kommt sie für 20 Jahre ins Gefängnis und hat kaum eine Chance auf Bewährung. Dies müßte man eher "Ungerechtigkeitssystem" nennen. Obwohl es in den letzten Jahrhunderten zumindest für einige Länder Fortschritte gegeben hat, beispielsweise durch Bewegungen für Menschenrechte und von Ureinwohnern, bleiben Ungerechtigkeiten weiterhin bestehen. Sie sind entweder sehr raffiniert in sogenannten "Demokratien" verankert oder in die "Entwicklungsländer" exportiert worden. Solange "Gerechtigkeit" auf dem Gedanken von Bestrafung beruht - sprich Rache - wird sie eine Struktur des Ärgers bleiben.
"Haß" (dosa): Rassismus, Klassendenken und Ausschlußpolitik Haß ist ein weiteres negatives Gefühl, eine tiefempfundene, angeborene Abneigung gegen jemand oder etwas. Durch Anhaften am Selbst - das wir als gut, ehrlich, schön usw. voraussetzen - projizieren wir das Böse auf den anderen, und daraus wird Haß. Eine strukturelle Form von Haß ist Rassismus, der sich in einem Großteil der reichen westlichen Welt wieder erhebt und es fraglich erscheinen läßt, ob diese Länder so "entwickelt" sind, wie sie zu sein vorgeben. Rassismus zeigt sich in weitverbreiteten Vorurteilen gegen den Islam, in der Furcht vor einer wirtschaftlichen Vorherrschaft Asiens, in der Verschiffung von Giftmüll nach Afrika und in der Überzeugung, daß westliche Regierungen besser wissen, wie die Artenvielfalt in den Ländern der Dritten Welt erhalten werden kann.
Auch Klassendenken, in den meisten Kulturen und Hierarchien verwurzelt, ist eine Form von strukturellem Haß. Nicht nur in ihren krassen Formen wie der Apartheid und dem Kastensystem, sondern in allen Gesellschaften, einschließlich der hierarchischen, autoritären Gesellschaften Asiens, erzeugen Klassenunterschiede Haß und Vorurteile zwischen Gruppen innerhalb der Gesellschaft. Eine ähnliche Erscheinung ist das religiöse Sektierertum. Indem wir uns mit einer Religion identifizieren, mit einer bestimmten Gemeinschaft oder Sekte innerhalb einer Religion, wenden wir unseren Haß und unsere Abneigung gegen andere Religionen oder religiöse Gruppen. Das dient häufig den Interessen des Kapitalismus und anderen Formen der Befleckung. Ein Beispiel ist unser Vorurteil, aufgrund dessen wir beschließen, daß Urbevölkerungen nicht wirklich menschlich sind, weil sie nicht so zivilisiert sind wie wir. Und daher haben wir das Recht, ihr Land zu beschlagnahmen, ihre Gewässer zu verschmutzen, ihre Töchter und Söhne zu Prostituierten zu machen.
Schließlich ist auch die Politik der Ausgrenzung eine strukturelle Form des Hasses. Wo immer kleine Gruppen andere von der Macht ausschließen, nämlich von dem Recht, über ihren Lebensweg zu entscheiden, da wird Gewalt ausgeübt und ist Haß am Werk. Offensichtlich besteht keine der hier aufgeführten Strukturen unabhängig von den anderen. Wir haben eine bedingte Welt, und diese verschiedenen Strukturen der Befleckung und Selbstsucht verstärken sich gegenseitig.
"Sinneslust" (raga): Prostitution in Unterhaltung, Tourismus und Geschäftswelt Wir wollen unsere Aufmerksamkeit nun der Sinneslust zuwenden. Diese Befleckung ist strukturell in unserer Unterhaltungsindustrie verankert. Filme kommen nur gut an, wenn Sinneslust und Sexualität erregt und gekitzelt werden. Die Fernsehkost wird immer unverhüllter sexuell. Pornographie wird weithin als "Unterhaltung für Männer" verstanden. Ebenso stützt sich die Werbeindustrie auf sexuelle Bilder, um uns unnütze Produkte zu verkaufen: Wir kaufen Zahnpasta, weil sie uns sexy macht; Frauen sollen BHs, Parfums und Kosmetika kaufen, um sich sexuell attraktiv zu machen; Autos machen Männer erst zu Männern; usw.
In einem Falle ist Sinneslust sogar mehr als ein Teil des Systems - in der Sex-Industrie ist sie das System selbst. Hier in Siam [vgl. Glossar] ist das sehr offensichtlich. Es ist jedoch überall dort zu finden, wo es Touristen, Geschäftsleute und Militärs gibt. Diese Sinneslust-Industrie ist verknüpft mit Militarismus, Kapitalismus und Klassengesellschaft - denn sehr wenige reicheFrauen und Knaben werden zu Prostituierten oder arbeiten in Bars, als Models und "Hostessen".
In all diesen "Industrien" wird die Sinneslust, die in den Menschen natürlicherweise entsteht, gehegt und gelenkt zugunsten wirtschaftlicher, politischer und militärischer Interessen. Sex verkauft sich. Sex ist Macht. Das Kriegshandwerk als der älteste Männerberuf benötigt den ältesten Frauenberuf, um die Jungs fit zu halten und bereit, für ihr jeweiliges Land zu sterben. Ohne spirituelle Praxis, die diese machtvolle Energie lenken könnte, wird die natürlich vorhandene Sinneslust verschlimmert und verbogen. Sie wird zerstörerisch anstatt der Fortpflanzung zu dienen. In der Tat trägt die gesamte Sinneslust-Industrie dazu bei, die Massen in Schach zu halten, indem sie abwechselnd Triebe und Gefühle anregt und dann belohnt, so daß die Menschen kaum jemals nachdenken oder hinterfragen, was eigentlich vorgeht.
"Verblendung" (moha): Bildung und Medien Verblendung (moha) heißt, die Dinge so zu sehen, wie sie nicht sind, also in Verkennung dessen, was wirklich ist - Schlimmes für gut zu halten und Gutes für schlimm. Täuschung ist heute bereits in unseren Bildungssystemen verankert. Achan Buddhadasa nennt das eine "Erziehung für Stummelschwanzhunde". "Es kümmert niemanden, daß Studenten überhaupt nichts über Ethik oder Dhamma lernen, obwohl dies notwendig zur Menschwerdung wäre." 6) Ich kenne keinen Ort in der Welt, wo eine gewöhnliche Bildung zu Einsicht beiträgt, also Kindern, Erwachsenen und auch alten Menschen hilft, den wichtigen Fragen des Lebens zu begegnen und damit zurechtzukommen. Wir stehen vielmehr Multiple Choice-Fragen gegenüber und müssen, anstatt die richtige Antwort zu finden, die "beste" aus den vorgegebenen unsinnigen Antworten auswählen.
Einsicht ereignet sich nicht in Grundschulen, weiterführenden Schulen oder Universitäten. Es mag ehrlichen Geist der Wahrheitssuche in einigen wenigen Schulen geben. Aber das sind die Ausnahmen, die die Regel bestätigen, da das nicht der Zweck unserer Bildungssysteme ist. Diese dienen hauptsächlich dem Ziel, uns mit den hier besprochenen "Ismen" zu durchdringen: Kapitalismus, Konsumismus, Individualismus, Rassismus, Militarismus. Um uns bei der Stange zu halten, wird eine gehörige Portion Angst verwendet. Bildung ist in dem Maße erfolgreich, wie Menschen willig den beschriebenen gesellschaftlichen Strukturen dienen. Höchst selten gibt es sinnvolle, ehrliche, offene Wahrheitssuche über die Sachverhalte dieser Strukturen. Müßtenwir das nicht "Strukturen der Miß-Bildung" nennen? Wie erbärmlich ist es, wenn ein Hund nicht einmal einen Schwanz zum Wedeln hat.
"Verblendung" (moha) durchdringt unter dem Mantel von Information die Medien. In Wirklichkeit werden wir mit einer Menge Pseudoinformation überflutet. Wir erfahren nicht die wichtigen Einzelheiten, sondern nur die oberflächlichen, die ein Spektakel erzeugen, um uns zu kitzeln, aufzureizen, zu erregen und uns letztendlich von der Wahrheit abzulenken. Wir erfahren nie die wirklichen Fakten.
In den letzten drei Jahren haben Thai-Zeitungen willig den korrupten Interessen in der Regierung, im Militär und gewissermaßen einer Geschäftsmafia gedient, um den Ruf zweier unserer besten Naturschützer-Mönche zu zerstören: Phra Pongsak Dejadhammo und Phra Prachak Kuttacitto. Durch Korruption bis hinein in die "Mönchsgemeinschaft" (sangha) wurden beide gezwungen, die Mönchsrobe abzulegen [vgl. Glossar, Aufsatz von Chatsuman]. Wir werden mit dem Spektakel politischer Kampagnen unterhalten, die die Illusion nähren, die Politiker seien wirklich diejenigen, die alles unter Kontrolle haben. Die Medien enthüllen uns nie, wer eigentlich bestimmt, was wir sehen und lesen, oder wer die Politiker ihrerseits kontrolliert. Diese Dinge werden nie hinterfragt oder überprüft.
Wir sehen also, daß sich die Verblendungen aus den Medien und den Miß-Bildungssystemen in gesellschaftliche Strukturen verwandeln. Darin wiederum wirken sich die Befleckungen der Langeweile und der Aufreizung aus, besonders in bezug auf die Medien, und tragen dazu bei, das Spektakel, die Ablenkung und die Verblendung aufrecht zu erhalten.
Konkurrenz: Kapitalismus, Sport und Lebensstil Eine weitere wichtige Form der Verblendung in unseren ökonomischen, politischen und kulturellen Systemen ist die Konkurrenz, die darin wurzelt, daß wir durch "Dünkel" (mana) befleckt sind. Wo es ein "Selbst" gibt, da ist auch das "Andere". Dann vergleichen wir uns mit dem anderen im Sinne von "besser als", "gleich", oder "schlimmer als". Durch diesen Ich-Du-Vergleich stellen wir uns und andere als Konkurrenten hin, manchmal sogar als Feinde.
Und damit schaffen wir die Notwendigkeit der Konkurrenz. Das umfaßt unseren Lebensstil, unsere Ideologie des Marktes, unsere Vorstellungen über Nationalstaaten und unser Verlangen nach Erregung. Unser Konkurrenzglaube macht es uns fast unmöglich, einander als Brüder und Schwestern zu sehen, als Gefährten in Geburt, Alter, Krankheit und Tod, als Partner in der Bewirtschaftungdes Planeten, als Freunde, die gemeinsam das Dhamma praktizieren.
"Angst" (bhaya): Medizin und Religion Eine weitere um sich greifende Befleckung ist die Angst. Die Angst ist heute am allermeisten im medizinischen System zur Struktur geworden, ein System, das sich kaum bemüht, Krankheiten vorzubeugen. Die moderne Medizin hat vielmehr versucht, das traditionelle medizinische Wissen zu zerstören, das sich ausgezeichnet auf Vorbeugung versteht. 7) Wir haben stattdessen Systeme geschaffen, die Angst und Sorge vermehren. Das wiederum hat der Medizin ermöglicht, mit dem Kapitalismus auf Tuchfühlung zu gehen. Die mächtige soziale Institution der Medizin-Industrie fördert die Angst und nutzt sie aus: die Angst vor dem Tod, die Angst vor Krankheit, vor dem Altwerden, vor Falten, vor Übergewicht.
Die Medizin-Industrie will uns natürlich für einen gewissen Preis bei diesen Problemen helfen. Aber das kostet uns nicht nur Geld. Unsere Gesundheit wird eine Ware. Auch Gegebenheiten, die nicht wirkliche Probleme darstellen - Falten, ein bißchen Pummeligkeit, Glatzenbildung, zu kleine Brüste (über die Babies sich jedoch nicht beklagen) - werden von institutionalisierter Angst zu Problemen gemacht. Wissenschaftler wie Ivan Illich nennen das "die Verkrankung der Gesellschaft". Die Versicherungsindustrie hat hier eine wichtige Verstärkerrolle. Sie erhält die Angst aufrecht, indem sie vorgibt, sie zu lindern - auch dies zu einem hohen Preis. Sicherheit wird damit ebenfalls zu einer Ware.
Häufig finden wir auch in der Religion eine Form struktureller Angst. Das mag nicht immer echte Religion sein, sondern das, was so unter dem Namen Religion läuft. Statt wahrer Selbsthingabe an etwas, das über uns steht, und der Auslöschung von Selbstsucht - Achan Buddhadasa nennt es das "Herz der Religion", finden wir darin alle möglichen Rituale, kindischen Überzeugungen und abergläubische Praktiken, die die Angst erhalten. Anstatt uns eine Hilfe zu sein, damit wir von unseren Ängsten frei werden und sie überwinden - Angst vor dem Tod, vor dem Verlust dessen, was wir lieben, vor Schmerz, Trennung, benutzen viele religiöse Gemeinschaften unsere Ängste, um ihre Einrichtungen zu unterhalten, um Geld einzutreiben, damit es den Priestern und Mönchen gutgeht.
Sexismus: Jede Menge "Befleckungen" (kilesa) Wir haben wiederholt gesehen, wie verschiedene soziale Strukturen von einer ganzen Anzahl von "Befleckungen" untermauert sind, wenn auch oft eine davon vorherrschend ist. Manche Ursachen von gesellschaftlichem dukkha ("Leiden") fügen sich nicht so glatt in die eine oder andere Kategorie von kilesa ("Befleckung"), wie etwa Sexismus und Patriarchat. Auf den ersten Blick, besonders aus männlicher Sicht, könnte Sexismus scheinbar in der Sinneslust wurzeln. Während die Sinneslust unzweifelhaft eine Rolle im Sexismus und im Patriarchat spielt, bekommt die Angst bei näherem Hinsehen ein größeres Gewicht: Angst vor Frauen, vor der Natur, vor Gefühlen, vor dem Unbekannten, vor der Wahrheit. Durch diese Ängste sind das Patriarchat die hierarchischen Machtstrukturen entstanden.
Ich glaube, daß Sexismus in erster Linie eine Struktur der Angst ist. Wenn wir Angst haben, dann wollen wir beherrschen, ganz besonders in männlichem Denken. Männer - in Gemeinschaft mit Frauen, die das Patriarchat internalisiert haben - beherrschen nicht nur Frauen. Wir schränken auch das Weibliche in uns selber ein, wir unterdrücken es oder beuten es aus. Wir verdrängen auch das, was traditionell mit dem Weiblichen verbunden wird, wie Natur, Intuition, Gefühle usw., also die Dinge, die Männer im allgemeinen fürchten. Mit der Angst könnte Haß vermischt sein: der Haß auf unsere Körper, auf unsere Sexualität, auf die Unterschiede. Und schließlich ist da noch die Sinneslust. Hier spielt die Tatsache eine Rolle, daß viele Männer ihre sexuellen Wünsche nicht beherrschen können. Und die Unfähigkeit von Frauen, die ihrigen zu kontrollieren, trägt auch noch dazu bei.
Ein Gewirr von "Ismen" Wir haben bisher einige der vorherrschenden Strukturen der Selbstsucht erörtert. Wenn die Liste auch nicht vollständig ist, zeigt sie doch unseren Ansatz. Wir sollten nunmehr klar erkennen können, daß diese Strukturen einerseits in den persönlichen Befleckungen wurzeln, die in jedem Individuum auftreten - Gier, Sinneslust, Ärger, Haß, Einbildung, Konkurrenz, Verblendung, Angst, Sorge, Langeweile, Aufregung. Gleichzeitig beeinflussen gerade diese starken Strukturen der Selbstsucht und Befleckung den einzelnen mit großer Heftigkeit und machen es um so leichter - was manche sogar notwendig finden - gierig zu sein, ärgerlich, ängstlich zu sein.
Es gibt eine Wechselwirkung und Triebkraft, eine Bedingtheit, zwischen diesen Strukturen der Befleckung in jedem von uns und den Strukturen der Selbstsucht und der Befleckung in der Gesellschaft. Das böte eine Möglichkeit, die Ursachen für gesellschaftliches "Leiden" (dukkha) zu untersuchen. Dieser Ansatz leugnet nicht die Wirksamkeit bestimmter wirtschaftlicher, politischer, geschlechtsbezogener und ökologischer Analysen. Wir versuchen lediglich, sie aus einem spirituellen und ethischen Blickwinkel zu betrachten. Wir können diesen Ansatz dann mit entsprechenden Analysen verknüpfen, die sich auf Wirtschaft, Politik, Feminismus beziehen und dadurch viele Einzelheiten und Mechanismen ergänzen.
Unwissenheit: Die eigentliche Ursache Um diese Analyse ein wenig gründlicher zu gestalten, sollten wir herausfinden, was der Buddhismus als die eigentliche Ursache von "Leiden" betrachtet. Könnte das auch die eigentliche Ursache unseres gemeinsamen sozialen "Leidens" sein? Die Grundursache all dieser Strukturen der "Befleckung"(kilesa) ist "Unwissenheit": wir sehen die Dinge nicht so, wie sie wirklich sind.
Eine der häufigsten Formen von Unwissenheit heutzutage kann "Pseudowissenschaft" oder "Wissenschaftlichkeit" genannt werden. Da wird vorgetäuscht, die Wirklichkeit von Dingen zu untersuchen, und dabei werden die wichtigen Teile der Realität außer acht gelassen. Pseudowissenschaft ist ein reduktionistischer Vorgang. Sie zerbricht Dinge in ihre Einzelteile und unterstellt, daß Dinge nichts weiter sind als die Summe ihrer Teile. Dabei läßt die Pseudowissenschaft die ganzheitliche, eine Gesamtheit darstellende Natur der Dinge unbeachtet. Sie ist besessen von materiellen Phänomenen und Ursachen und übersieht dabei die geistigen, ethischen, spirituellen und wertbezogenen Phänomene in den Ursachen sozialer Probleme. Außerdem haben die mechanistischen Tendenzen der Pseudowissenschaft - der blinde Glaube an Fortschritt, Evolution und positive Entwicklung, die Annahme, daß der Beobachter von dem beobachteten Objekt abgesondert ist und damit die Wirklichkeit subjektiviert und objektiviert wird - hat alles dies zusammengenommen die Wissenschaft in Pseudowissenschaft verwandelt.
Um das anders auszudrücken, entsprechend der traditionellen Erklärung des Buddha für Unwissenheit: gesellschaftliche Unwissenheit zeigt sich vierfach:
- Der erste Aspekt ist der, daß wir unsere sozialen Probleme nicht kennen.
- Zweitens verstehen wir die Ursachen und Gründe für unsere sozialen Probleme nicht. Gewöhnlich hören wir in den Schulen, im Fernsehen und von unseren Politikern nur die oberflächlichsten Analysen, die uns von den wirklichen Gründen, nämlich Kapitalismus, Militarismus, Rassismus und Sexismus, nur ablenken.
- Drittens begreift Unwissenheit nichts vom "Auslöschen" des gesellschaftlichen "Leidens", nichts davon, wie die Gesellschaft sein könnte, wenn wir denn diese Strukturen von Selbstsucht ausschalten würden. Dieser Mangel an Vision ist so schlimm, daß wir überhaupt nicht mehr darüber nachdenken. Das gehört nicht mehr zu unserem gesellschaftlichen Diskurs. Wir haben die unwillkürliche Tendenz, jede höhere Vision von Gesellschaft als utopisch oder idealistisch zu verspotten, herabzusetzen und zu verurteilen. Es ist aber notwendig, Ideale zu haben. Sie herabzusetzen bedeutet, uns selber zu niedrigen Maßstäben zu verurteilen. Idealistisch zu sein ist großartig, wenn wir gleichzeitig praktisch sein können. Sobald aber heute etwas als idealistisch oder utopisch abgestempelt ist, wird es verlacht, und das wiederum, um uns von jedwedem höheren Ziel in unserem gemeinsamen Leben abzulenken.
- Letztlich und viertens begreift Unwissenheit den Pfad nicht, den wir als Gruppen gemeinsam gehen müssen, als Nicht-Regierungsorganisationen (ich nenne sie lieber "Gemeinschaften zur gesellschaftlichen Veränderung "), als Gesamtgesellschaften und als Gattung. Wir lassen den Pfad außer acht, der diese entmenschlichenden und befleckten sozialen Strukturen beseitigen kann, der uns ermöglichen kann, in einer wahrhaft menschlichen Gesellschaft zu leben, die auf Grundsätzen der Weisheit und des Mitgefühls beruht. Unwissenheit versteht nichts von gesellschaftlichem Leiden, seinen Gründen, seinem Ziel und dem Pfad, dem wir zu seiner Beendigung folgen müssen.
Diese vier Aspekte gesellschaftlicher Unwissenheit können wir nun auch zusammenfassend bezeichnen als nicht wissen, daß wir alle miteinander zusammenhängen, nicht erkennen, daß wir alle voneinander abhängig sind. Wenn wir gegen diese Tatsache, daß wir im Leben "miteinander in Beziehung stehen" (idappaccayata), blind sind, schaffen wir damit die inneren Ego-Strukturen und die äußeren gesellschaftlichen Strukturen der Selbstsucht. Auf traditionelle Thai-Art ausgedrückt: Unwissenheit heißt zu vergessen oder außer acht zu lassen, daß wir alle Gefährten sind in Geburt, Alter, Krankheit und Tod, kurz Gefährten im "Leiden" (dukkha).
Wenn wir gesellschaftliche Probleme aus dieser Perspektive diskutieren, ist es nicht einfach, die Probleme von ihren Ursachen zu unterscheiden. Alle genannten "Ismen" könnten ebensogut für die Probleme gehalten werden. Alle hängen zusammen, sind gegenseitig abhängig und bedingen einander. Trotzdem will ich diesen Rahmen aus zweierlei Gründen beibehalten. Indem wir die Ursachen der gesellschaftlichen Mißstände in den Strukturen der Befleckung ansiedeln, fällt es uns leichter, die Verflechtung persönlicher und struktureller "Befleckung" zu sehen. Wie sie sich ausspielen, sich voneinander nähren und gegenseitig auffressen - das ist die Dynamik, die den Lauf der "Existenzen kreisen" läßt (samsara).
Wenn wir uns hier aber auf Selbstsucht und "Befleckung" konzentrieren, dann verleihen wir außerdem Buddhisten gegenüber der Einstellung gehörigen Nachdruck, daß die Gesellschaftsstrukturen verändert werden müssen. Und letztlich beweisen wir damit allen, daß gesellschaftliche Probleme nicht nur - und nicht einmal hauptsächlich - in Wirtschaft und Politik begründet sind. Sie sind ebenso kulturell, sittlich und spirituell begründet.
Damit beende ich diese wenigen allgemeinen Überlegungen zu den beiden ersten "Edlen Wahrheiten" [Um welches Problem geht es? Woher rührt es?], wenn man sie auf die Gesellschaft bezieht.
Zugegebenermaßen ist diese Analyse ein bloßer Beginn, ein Vorschlag für den Rahmen weiterführender Analysen mit Hilfe subtilerer Begriffe (zum Beispiel vom "bedingten Entstehen", paticca-samuppada) und entsprechender Gesellschaftswissenschaften, mit der Praxis von Aktion - Reflexion und im Dialog mit anderen engagierten monastischen "Gemeinschaften" (sangha). Ich hoffe aber, daß dieser Ansatz zumindestens dazu beitragen wird, daß
- gewöhnliche Buddhisten das Buddha-Dhamma vollkommener und richtiger verstehen;
- gewöhnliche Buddhisten ihre wirklichen Feinde erkennen, nämlich die "Befleckungen" sowohl in persönlichen als auch in allgemeinen Strukturen;
- alle Buddhisten das große "Leiden" sehen, das uns quält, und die Dringlichkeit, uns selber und unsere Gesellschaft zu verändern - so, als gingen wir auf glühenden Kohlen;
- engagierte Buddhisten mit anderen Traditionen - Christen, Muslimen, Feministinnen, Grünen und Angepaßten, und mit sozialen Bewegungen in Dialog treten;
- wir alle aufhören, "Leiden" dualistisch zu betrachten.
Teil 2:Dhamma-Sozialismus und die Beendigung von "Leiden" (dukkha) Nun wollen wir die glückliche oder erstrebenswerte Seite des Bildes betrachten. Wir haben in Teil 1 mit unerfreulichen, schmerzhaften Wahrheiten begonnen, weil der Buddhismus lehrt, daß wir uns unserem "Leiden" und unseren Problemen stellen müssen. Wir stellen uns ihnen jedoch, damit wir sie überwinden und am anderen Ufer ankommen, im Frieden aus Befreiung. Darum müssen wir das Stillen ["stillen" klingt an Nibbana an] von "Leiden" auch in gesellschaftlichen Zusammenhängen untersuchen, nämlich "die dhammagemäße Gesellschaft".
- Bei meinen Überlegungen zur "Dritten Edlen Wahrheit", das heißt zur "Aufhebung" (nirodha) [des Leidens], werde ich das Augenmerk auf Grundsätze und Ideale richten.
- Wenn wir zur "Vierten Wahrheit", dem "Pfad" (magga) [das heißt Achtfacher Pfad] kommen, werden wir ein paar Strategien, Taktiken und Methoden erörtern, mit deren Hilfe wir eine "Gesellschaft, deren Verlangen gestillt ist" ( "quenched society "), aufbauen können - eine nibbanische Gesellschaft.
Achan Buddhadasa nannte diese Vision der nibbanischen Gesellschaft "Dhamma-Sozialismus". [Vgl. dazu insgesamt den Beitrag von Swearer.] Darin drückten sich für ihn zwei grundlegende Tatsachen aus. Zum einen sind wir unausweichlich und unentrinnbar soziale Wesen, die in Gesellschaftsformen zusammenleben müssen, in denen es wesentlich darauf ankommt, wie wir zueinander in Beziehung stehen, zusammen arbeiten und miteinander umgehen. Solche Formen der Gesellschaft waren das, was er unter Sozialismus verstand, womit er sich wohl vom Verständnis der Politikwissenschaftler und Marxisten unterscheidet.
Der ehrwürdige Meister definierte gern Worte auf seine eigene Art, und wir mißverstehen ihn völlig, wenn wir das unbeachtet lassen. Sangkomniyom, das Thai-Wort für Sozialismus, bedeutet wörtlich "Vorrang für die Gesellschaft" oder "Begünstigung der Gesellschaft" vor der Begünstigung des Individuums (Individualismus). Letzteres geschieht ja häufig im Westen oder im derzeitigen Kapitalismus und in den Konsumgesellschaften. Sein Sozialismus gründet in der Tatsache, daß wir um des Überlebens willen zusammenhalten müssen. Darum müssen wir unsere Aufmerksamkeit auf diejenigen Strukturen und Mechanismen der Gesellschaft richten, die uns in die Lage versetzen, dies Zusammenleben so geschickt und ertragreich wie möglich zu gestalten. Wir alle sind dafür verantwortlich, daß wir diese Strukturen pflegen, auf sie achtgeben und für sie einstehen. So also ist hier Sozialismus zu verstehen.
Wir wissen aber auch um die Tatsache, daß Sozialismus fehlgehen kann. Es hat unterschiedliche Ansätze im Sozialismus gegeben, und einige davon sind falsch gewesen, nämlich autoritär, gewalttätig und korrupt. Achan Buddhadasa beharrt darauf, daß der Sozialismus vom Dhamma bestimmt sein muß, um ihn aufrichtig, sittlich und gewaltfrei zu erhalten. Daher sprechen wir von Dhamma-Sozialismus. Wir wollen keinen Sozialismus, der in erster Linie materialistisch oder ökonomisch ist - Achan Buddhadasa ist nicht für einen Sozialismus auf der Grundlage von Klassenkonflikt oder Klassenhaß eingetreten. Wir sind stattdessen auf der Suche nach einem Sozialismus, der im Einklang mit dem Dhamma ist. In Einklang mit dem Dhamma bedeutet auf der Grundlage der Erkenntnis, daß Menschen voneinander abhängig sind.
Mit anderen Worten, unser Sozialismus muß ein moralischer sein, verankert in "Ethik" (sila dhamma, was moralisch akzeptabel ist, Normalität). Diese sila dhamma besteht in Beziehungen und Handlungen, die niemanden unterdrücken oder übervorteilen, auch uns selber nicht. Sie dienen dem gemeinsamen Wohlergehen, sowohl unserem eigenen als auch dem anderer und der Allgemeinheit. Wie wir oben gesehen haben, ist gesellschaftliche Unterdrückung in persönlichen und strukturellen "Befleckungen" verwurzelt, nämlich in Selbstsucht. Diese Selbstsucht auszuschalten ist die Aufgabe von sila dhamma, von Religion und Dhamma-Sozialismus.
Wir müssen an dieser Stelle nicht erörtern, ob unser Sozialismus über das sittliche Niveau hinaus auch eine Gesellschaft gestalten kann, in der nicht nur alle frei von selbstsüchtigem Verhalten, sondern bereits frei von selbstsüchtigem Denken sind. Ich glaube, es genügt erst einmal, unseren Blick auf eine Gesellschaft zu richten, in der selbstsüchtiges Verhalten reduziert ist. Wir werden später noch darüber reden, welches Gewicht einer tiefgründigeren Sittlichkeit zukommt, durch die die Selbstsucht kurzgeschlossen wird, und auch einer Spiritualität, die die Selbstsucht ausschaltet - falls die Menschen um der dhammagemäßen Gesellschaft willen ihr Verhalten unter Kontrolle bringen und verändern. Die Menschen brauchen eine Vision, die ihnen zeigt, daß wahres Glück im Dhamma-Sozialismus und einer nibbanischen Gesellschaft liegt und nicht in Selbstsucht, Ideologie des Konsums, Materialismus und ähnlichem.
In dieser Debatte gebe ich weder der Gesellschaft und ihren Strukturen die Schuld an allem "Leiden", noch behaupte ich, daß die Neuordnung der Strukturen alles "Leiden" beenden wird, denn wichtige Aspekte unseres Leidens und unserer Praxis liegen ganz tief in unserer Persönlichkeit. Und dennoch ist es möglich und notwendig, daß die Gesellschaft die in der ersten Hälfte dieses Vortrags genannten Hindernisse für ein spirituelles Wachsen beseitigt und daß sie gleichzeitig das Erkunden und die Entfaltung von Spiritualität unterstützt und anregt. Unsere "Gruppen für buddhistische Praxis" (Buddhist Practice Communities) und "Gruppen für den Wandel der Gesellschaft" (Social Transformation Communities) können auf Ortsebene sofort mit der Arbeit an diesen Fragen beginnen. Unser Dhamma-Sozialismus bezeichnet also eine Gesellschaft und deren Ordnung, in der die selbstsüchtigen "Befleckungs"-Strukturen in aufgeklärte "Erleuchtungs"(bodhi)-Strukturen umgewandelt worden sind. Wenn die gesellschaftlichen Strukturen von Grund auf befleckt sind, dann wird es sehr viel gesellschaftliches dukkha geben. Sind diese gesellschaftlichen Strukturen jedoch in bodhi umgewandelt, wird es eine erleuchtete, nibbanische Gesellschaft geben, die friedvoll und abgekühlt ist und sich wohltätig auf alle auswirkt.
Dhammagemäße Gesellschaftsstrukturen Nachdem ich in Kürze den Dhamma-Sozialismus definiert habe, möchte ich nun eine Vision dessen skizzieren, was wir "die Gesellschaft mit geringstem "Leiden" nennen können ( "minimal dukkha society"). Dabei werde ich aus den Gedankengängen Achan Buddhadasas schöpfen, sie jedoch ein wenig anders anordnen.
Lassen Sie uns auf einige der Befleckungsstrukturen zurückkommen und ihre Gegenstücke der Erleuchtung betrachten. Dabei können uns die vielen im Buddhismus gelehrten und geachteten Tugenden und Qualitäten geschickten Verhaltens leiten. Dadurch können wir etwas von der dhammagemäßen Gesellschaft erahnen und ihre Zielrichtung erkennen. Wir können hier aber nicht vorgeben, fertige Antworten für alles zu haben, so wie das auch Achan Buddhadasa nicht getan hat. Ihm ging es um den Versuch, die Richtung aufzuzeigen, in der wir weiterzuarbeiten hätten, und die Hauptelemente des Pfades, der uns in diese Richtung führen würde. Unser Versuch wird notwendigerweise idealistisch und allgemein ausfallen. Wenn wir später den Pfad erörtern, müssen die Einzelheiten kreativ und greifbar erkundet werden.
Wie sieht denn eine Gesellschaft aus, wenn die selbstsüchtigen Befleckungsstrukturen beseitigt sind? Welches sind denn die Strukturen, die aus den von Buddhisten und anderen Religionen wertgeschätzten und respektierten Tugenden und Werten gebildet sind? Wenn das gierige Gefüge des Kapitalismus erst einmal beseitigt ist, wird die wirtschaftliche Struktur eine Struktur des "Gebens" (dana, Großzügigkeit, Teilen) werden, eine Struktur des "Genügens" (santutthi, Zufriedenheit mit dem, was man hat), eine Struktur der Mäßigung, Genügsamkeit und Selbständigkeit.
Allein dies würde bereits einen radikalen Wandel der derzeitigen Gesellschaft bedeuten. Allerdings waren vergangene Kulturen, besonders in ländlichen Gebieten und bei eingeborenen Völkern, dem schon sehr nahe. In traditionellen Gesellschaften sind Großzügigkeit und Teilen sehr wichtig. Zufriedenheit mit dem, was Natur und Leben bereithalten, ist viel bekömmlicher als endloses Verlangen. Schließlich werden die Menschen durch "richtigen Lebenserwerb" (samma ajiva) ihre Bedürfnisse nicht in zerstörerischer, sondern in nachhaltiger Weise befriedigen. Wir werden eine Praxis der richtigen Ökonomie haben, um dies zu erreichen.
Die ursprüngliche Bedeutung von setthi (einer, der reich ist an Vorzüglichkeit) wird dann wiederhergestellt werden. Anstatt der heutigen Bedeutung "Millionär" oder "Milliardär" wird setthi sich auf Menschen beziehen, die reich an Tugend und Güte sind, die ihren materiellen, geistigen und spirituellen Reichtum dazu gebrauchen, den weniger Glücklichen zu helfen und andere in ihrer spirituellen Praxis zu unterstützen. Wahrhaftige setthi "haben ein wirtschaftliches System, das im Dhamma begründet ist" [wie Buddhadasa Bhikkhu sagt]. Wir sollten uns daran erinnern, daß der beispielhafte buddhistische Millionär Anandapindika schließlich all seinen Reichtum weggegeben hat. Kann dieses Beispiel uns heute noch begeistern? 8)
Statt auf Ärger und Militarismus wird die Gesellschaft auf "liebender Güte" (metta) und "Mitgefühl" (karuna) beruhen. In den meisten Schulen des Buddhismus finden wir Legenden über den Maitreya Buddha, den zu erwartenden Buddha, der ein Zeitalter von allgemeiner Liebe und Mitgefühl heraufführen wird. Andere Traditionen haben ähnliche Vorstellungen und Bilder, wie zum Beispiel die Wiederkehr Christi. Viele Menschen heutzutage werden über ein solches Ideal nur lachen. Aber der Dhamma-Sozialismus muß Strukturen errichten, in denen die Werte "liebende Güte", "Mitgefühl", Sympathie und Empathie bewahrt sind. Wir werden eine Praxis der richtigen Politik, Organisation und Führung haben, um dies zu erreichen.
Die Gesellschaft wird nicht mehr in konkurrierenden Strukturen, sondern in solchen der "Harmonie" (samaggi, Harmonie, Einheit), der Zusammenarbeit, gegenseitiger Hilfe und Unterstützung bestehen. Es wird mannigfache Gruppen, Organisationen und Gemeinschaften geben, in denen die Leute Kenntnisse, Fähigkeiten, ihre Mittel und Erfahrungen austauschen. Dies wird aber nicht im Sinne von "Hilfst du mir, helf ich dir" geschehen. Vielmehr wird uns diese "Harmonie" dazu anregen, aus freien Stücken zu helfen. Wann immer jemand in Not ist, werden andere Menschen da sein.
Das ist nichts Neues in der Welt. Es gibt immer noch viele Gemeinschaften, wo einer Bitte sogleich die Hilfe folgt. In meiner Jugend haben die Freunde aus der Kirchengemeinde meiner Mutter uns das Essen gebracht und sich um uns gekümmert, wenn sie krank war. Wenn jemandem das Haus abbrannte, sprang die ganze Gemeinde ein mit Kleidung, Möbeln, Geld, Essen und vorübergehender Unterkunft. In Bangkok haben Zuhörer des bekannten Verkehrssenders FM 100 schwangere Frauen zur Entbindung in Krankenhäuser gebracht, haben geholfen, Raubüberfälle zu verhindern und Katastrophenhilfsgüter zu sammeln. Diese Keime von Hilfe, liebender Güte und Mitgefühl werden sich in der dhammagemäßen Gesellschaft voll entfalten. Wir werden eine Praxis der richtigen Gemeinschaft und Solidarität haben, um dies zu erreichen.
Es wird nicht mehr die Haßsysteme des Rassismus, der Klassengesellschaft, des religiösen Sektierertums und anderer Formen von Ausschließlichkeit geben. Stattdessen wird es "Achtung" (garava) geben und "Würdigung" (anumondana) von Unterschieden und Vielfalt bei Alter, Geschlecht, Rasse und Volkszugehörigkeit, Religion, Sprache, Herkunft, Begabungen, Stärken usw. Die Versuche, Gleichförmigkeit aufzuzwingen, werden aufhören. Die Unterschiede werden jedoch nicht dazu benutzt, Angst und Haß zu nähren. Sie werden als Quelle und Ursprung von Freude angesehen.
Wir werden fähig, voneinander zu lernen. Die Notwendigkeit zur Bildung von Gruppenidentität und kollektiven Egos wird verschwinden. Wenn dennoch ein gewisses Identitätsbedürfnis bestehen bleibt, so wird es zumindest andere nicht mehr ausschließen, sondern es gibt Offenheit zu Dialog und schöpferischer Partnerschaft mit anderen Gruppen. Wir werden eine Praxis von richtiger Erziehung und Religion haben, um dies zu erreichen.
Gesunde Sexualität in gesunden Familien wird den Sexismus und damit die kränklichen Strukturen von Angst, Haß und Sinneslust ersetzen. Auf diese Weise werden Kinder aufgezogen und sozialisiert, ohne all die Ängste, Zwangsvorstellungen, Unterdrückung und Vorurteile von Patriarchat und Sexismus. Mit gesunder Familie ist hier gemeint, daß Mann und Frau zusammenleben in reifer Liebe, die sich in Achtung und gemeinsamer Verantwortung gründet. Jedes Ehepaar hat nur so viele Kinder, daß Zeit, Kraft und Liebe für sie ausreichen. Die Menschen werden spirituell an sich arbeiten, bevor sie das wichtige Unternehmen der Fortpflanzung beginnen.
Bestimmte Rollen scheinen zwar in den jeweiligen Bereich des einen oder des anderen Geschlechts zu gehören, aber das kann niemals ausschließlich und starr gelten. Männer werden fähig sein, ihre weiblichen Qualitäten zu würdigen und zu entwickeln. Frauen wird es gelingen, ihre eigenen männlichen Seiten zu achten und zu fördern. Ideen und Bezeichnungen wie "männlich" und "weiblich" werden weiter bestehen, aber wir werden dann begriffen haben, daß wir nicht mehr an ihnen kleben müssen. Sexualität wird eine Möglichkeit sein, mit tief empfundenen menschlichen Bedürfnissen, Instinkten und Gefühlen umzugehen, aber sie nicht auszubeuten, weder sexuell durch Wollust noch politisch durch Machtspiele. Im Rahmen einer richtigen Kultur werden wir die Praxis von richtiger Familie und Sexualität haben, um dies zu erreichen.
Die Miß-Bildung und die Strukturen der Verblendung in den Massenmedien werden in Strukturen der Bewußtheit, der Weisheit und kultureller Lebendigkeit verwandelt. Um das zu erreichen, werden wir richtige Kommunikation brauchen. Mannigfache Lernmöglichkeiten und Hilfsmittel wird die Menschen in die Lage versetzen, etwas über sich selber, über andere, die Gesellschaft, die Natur und das Dhamma zu erfahren und zu verstehen. Solche Möglichkeiten werden wahrscheinlich nicht über die gewohnten Kanäle von Schule und Universität vermittelt, obwohl Einrichtungen dieser Art vielleicht noch bestehen bleiben werden.
Bildung wird vielmehr als lebenslanger Prozeß angesehen werden. Sie wird nicht bloß für Abschlußzeugnisse oder für das Geldverdienen da sein, sondern wird sich auf die Beendigung von "Leiden" richten, auf das Verstehen dessen, was im menschlichen Leben und in der menschlichen Gesellschaft wirklich wichtig ist. Das soll jeden Menschen befähigen, seinen Platz und seine Rolle in der Gesellschaft zu finden und diesen Platz und diese Rolle ohne jede Selbsttäuschung oder "blinde Übereinstimmung" (consensus trance) gerne auszufüllen. 9) Sie oder er soll dadurch in die Lage versetzt werden, sich dieser Rolle oder der Verantwortung zum Besten der Gesellschaft ganz zu widmen. Das wichtigste ist, daß Bildung in den Händen der Gemeinschaften liegt, wo sie auch stattfindet, und dazu gehört Partnerschaft zwischen Lernenden und Lehrenden.
In ähnlicher Weise werden die Medien der Aufgabe dienen, nützliche Informationen auszutauschen. Es wird zwar weiterhin solche Dinge wie Internet, Fernsehen und Zeitungen geben, sie werden jedoch nicht mehr unter der Herrschaft von Patriarchat, Kapitalismus und Militarismus stehen. Sie werden nicht mehr von riesigen unpersönlichen Bürokratien kontrolliert, weder in staatlichem noch religiösem oder privatem Besitz. Befreit von solchen Strukturen, werden die Medien schöpferisch gebraucht, damit die Menschen herausfinden können, was ihnen wirklich nützt. Die Medien werden dann Teil des Bildungsprozesses sein und dazu dienen, daß die Menschen ihr Lernen lebenslang fortsetzen können. Wir werden dann nicht mehr mit einer Einbahnstraße von Informationen gefüttert, sondern es werden interaktive Informationssysteme sein, die auf dem Dhamma beruhen. Dem Lernenden wird es möglich sein, Inhalt, Tempo, Darstellungsweise zu bestimmen. Ferner werden die Medien den Menschen dabei helfen, ihr Wissen und ihre Erfahrungen auszutauschen. Wir müssen richtige Kommunikation entwickeln, um diese gesunden Strukturen zu verwirklichen.
Die Angststrukturen, durch die die Kranken- und Versicherungsindustrie geschaffen wurde, müssen umgewandelt werden in solche Systeme, die den Menschen Leben und Tod verständlich machen und ihnen helfen, sich auf Veränderung und Krankheit einzustellen und mit Schmerz zu leben. Mit einem solchen Verständnis werden die Menschen sich nicht vor Veränderungen in ihrem Körper fürchten. Es wird dann jedoch ein ganzes Aufgebot von Methoden geben, um unnützen Schmerz, unnötig frühen Tod, Verwirrung zu vermeiden. Ein solches System wird auf Gesundheit und nicht auf Krankheit ausgerichtet sein. Wenn wir Leben, Gesellschaft, Natur und Dhamma verstehen, dann werden wir auch wissen, was Gesundheit ist. Das medizinische System wird ein Gesundheitssystem sein, das alle Aspekte des Lebens abdeckt. Versicherung wird man sich durch gute Ernährung, gesunde Lebensweise und Arbeitsbedingungen, körperliche Bewegung und Dhamma erwerben. Medikamente und technische Eingriffe werden lediglich eine unterstützende Rolle haben.
Ähnlich wird echte Religion - die es in Nischen hier und da ja bereits gibt - in den Vordergrund treten. Eine solche Religion wird keine komplizierten, reichen und mächtigen Institutionen brauchen. Sie wird die ganz anders gearteten "Erleuchtungs"-Strukturen (bodhi) unterstützen und anempfehlen, und nicht mehr den "Befleckungs"-Strukturen (kilesa) schöntun. Ihr einziges Anliegen werden die verschiedenen Ausdrucksformen von Spiritualiät und Ethik sein. Wir werden richtige Gesundheit und richtige Religion pflegen, um diese Aufgabe zu bewältigen.
Schließlich werden die Wettbewerbssysteme durch gemeinschaftlich arbeitende Systeme ersetzt. Die früheren sich selbst versorgenden Gemeinschaften werden wiederkehren, wenn auch oft in neuer Form. Schöpferische Organisationsformen werden Zusammenarbeit bei gegenseitiger Verantwortung, Achtung, Mitwirkung und Übereinstimmung ermöglichen. Beispielsweise wird Buddhas sangha-System (System der "Gemeinschaft") auf verschiedenste Weise neu belebt. Dadurch wird es den jeweiligen örtlichen Bedingungen gerecht. Ohne eine Politik der Feindbilder brauchen wir auch keine politischen Parteien. Die Regierung wird dezentralisiert sein, von unten nach oben organisiert, transparent, nicht hierarchisch und auf Schumachers Subsidiaritätsprinzip aufgebaut.
Dies sind lediglich ein paar grobe Annäherungen an die allgemeine Richtung, in die wir uns bewegen müssen. Um die Einzelheiten zu erarbeiten, müssen wir alle noch viel mehr Überlegungen und Erkundungen anstellen. Eine richtige sangha-Gemeinschaft wird das wichtigste Hilfsmittel dazu sein. Wir müssen heute damit beginnen!
Dhamma-Sozialismus ist also kurz gesagt eine Gesellschaft, die nicht mehr auf Selbstssucht beruht. Ihre Grundlage ist Verstehen-in-Bewußtheit, daß wir gegenseitig abhängig sind und daß Zusammenarbeit notwendig ist; daß es notwendig ist, Opfer zu bringen, das Selbst fahren zu lassen und selbstsüchtige Interessen zum Wohle der Gesellschaft aufzugeben, nämlich zum Wohle des Planeten und um des Dhamma willen. Dhamma-Sozialismus ist die Vision einer selbstlosen Gesellschaft, einer Gesellschaft, die nibbanisch ("verloschen") oder abgekühlt ist.
Gemäß den Voreingenommenheiten moderner Gesellschaftstheorien, die auf Hobbes und Locke zurückgehen, werden diese Ideen wohl vielen Menschen sehr weit hergeholt und unmöglich erscheinen. Schließlich wurden sie zu der Einstellung erzogen, daß das Leben und die Gesellschaft ein grausiger Wettlauf sind von Fressen und Gefressenwerden. Buddhisten jedoch glauben an die Buddhanatur und sehen darin das leitende Prinzip für die Gesellschaft. Jeder von uns ist Buddha. Alle sind wir fähig, über den Pfad von Geistesgegenwart, Mitgefühl und Weisheit zu unserer wahren Natur zu erwachen. Wir sind grundsätzlich in Ordnung. Wir müssen der Auffassung entgegenwirken, die vom Schlimmsten im Menschen ausgeht, weil das "eine sich selbst erfüllende Prophetie" ist. Wir sollten vielmehr mit Aufgeschlossenheit, in flexibler und nicht sektiererischer Weise die Möglichkeiten für eine selbstlose Gesellschaft, oder wenn Sie wollen, für Dhamma-Sozialismus formulieren.
Der "Edle achtfache gesellschaftliche Pfad" Nun bleibt mir noch eine letzte "Edle Wahrheit" zu behandeln, nämlich der Pfad, den wir zur Verwirklichung einer Gesellschaft verfolgen müssen, die nicht mehr selbstsüchtig ist. - Beachten Sie bitte, daß wir ihn bereits beschreiten, sonst wären wir heute nicht hier. - Jeder Aspekt der "Vier Edlen Wahrheiten" ist zur Lösung von Problemen notwendig. Während wir tiefer verstehen lernen, wo wir herkommen, was die Probleme sind und ihre Ursachen, und wohin wir uns bewegen sollen - nämlich in die nibbanische Gesellschaft, müssen wir ganz praktisch und wirkungsvoll den Weg finden, wie wir einen Anfang machen und dann auch die Bewegung aufrechterhalten können. Wie stets in unserer Praxis tun wir unsere Arbeit im gegenwärtigen Augenblick. Das heißt nicht, Vergangenheit und Zukunft zu ignorieren - es bedeutet lediglich, daß wir mit der Wirklichkeit hier und jetzt umgehen. Wie kommen wir also von hier nach da?
Neben meinen eigenen Gedanken und Erfahrungen werde ich mich auf einige von Achan Buddhadasas Ideen beziehen. Ich werde sie entsprechend dem Prinzip des "Edlen Achtfachen Pfades" anordnen. Manche Buddhisten werden es vielleicht befremdlich, ja als Sakrileg empfinden, von dem "Edlen Achtfachen Pfad" im Zusammenhang von gesellschaftlichem Wandel zu sprechen. Achan Buddhadasa hat sehr gern hervorgehoben, daß der "Edle Achtfache Pfad" ein natürliches Prinzip ist. Er ist nichts Heiliges, Überweltliches, das nur in erhabenen spirituellen Angelegenheiten verwendet wird.
Der Pfad ist vielmehr sehr praktisch für gewöhnliche weltliche Obliegenheiten zu gebrauchen, wie zum Beispiel das Pflügen der Reisfelder, das Zähneputzen oder das Geschirrspülen. Wenn das also, wie er oft betonte, ein allgemeines natürliches Prinzip ist, kann es auch für die Aufgabe gesellschaftlicher Veränderung verwendet werden. Es ist nun zwar wunderbar und vollkommen im Bereich von persönlicher Weisheit, Sittlichkeit und Meditation. Um jedoch einen ebenso vollkommenen und wunderbaren "Edlen Gesellschaftlichen Pfad" zu finden, müssen wir vielleicht hier und da ein paar Faktoren hinzufügen oder anpassen. Jedenfalls ist der "Edle Achtfache Pfad" ein guter Ausgangspunkt für unsere Überlegungen.
Darum will ich auch keine umfassende Diskussion des "Edlen Gesellschaftlichen Pfades" versuchen. Ich werde mich mit bestimmten Vorschlägen begnügen, mit denen ich Erfahrungen gemacht habe oder die aus Diskussionen, Workshops und Seminaren mit engagierten Buddhisten und anderen tatkräftigen Freunden hervorgegangen sind, vorwiegend in Siam. Ich hoffe, daß wir sie mit Vorschlägen aus anderen Referaten und Diskussionen verbinden können, um einen vollkommeneren Pfad engagierter buddhistischer gesellschaftlicher Praxis zu entwickeln.
Das Schlüsselwort bei jedem Faktor des Pfades ist "richtig" oder "korrekt" (samma, vgl. Glossar, "richtig" im Sinn von "vollkommen", "angemessen "). Korrektheit darf aber nicht dogmatisch definiert werden. Nichts ist korrekt außerdurch das Dhamma. Das bedeutet, es ist im Einklang mit dem Naturgesetz und entspricht Ursachen, Zielen, Zeit, Gesellschaft, betroffenen Einzelpersonen und einem selber. 10) Somit hängt die Bedeutung von "richtig" oder "korrekt" von den Ursachen oder Umständen eines jeden Falles ab. Wir müssen geistesgegenwärtig, empfindsam, aufgeschlossen, flexibel, schöpferisch und einsichtsvoll sein, um den jeweils unterschiedlichen sich verändernden Kontext wahrzunehmen und darauf zu reagieren.
Das "Edle" unseres Pfades ist aber auch entscheidend. Wir meinen natürlich nicht edel (ariya) im allgemeinen Sinn von Hierarchie oder Klasse. Wörtlich bedeutet dieses Paliwort "fortgehen (ya) von seinen Feinden (ari)." In der Tradition wird der Begriff "Feinde" auf die "Befleckungen" (kilesa) bezogen. Weiter oben haben wir geklärt, daß die gesellschaftlichen "Befleckungs"-Strukturen die Feinde aller Wesen sind. Im übrigen ist der "Pfad" "edel", da nur noble und geschickte Mittel angewendet werden. Wir vermeiden zum Beispiel Gewalt. Wir wollen die "edlen Mittel" sorgfältig bedenken.
[Der "Edle Achtfache Pfad" besteht aus:
1) samma ditthi: richtige Erkenntnis;
2) samma sankappa: richtiges, rechtes Bestreben;
3) samma vaca: richtige Rede;
4) samma kammanta: richtiges Tun;
5) samma ajiva: richtiger, rechter Lebenserwerb;
6) samma vayama: richtige Anstrengung, Energie;
7) samma sati: richtige Achtsamkeit, Geistesgegenwart;
8) samma samadhi: richtige Konzentration.]
Richtige Religion ["richtige Erkenntnis"] Der "Edle Achtfache Pfad" beginnt mit dem richtigen Verstehen. Entsprechend muß unser "Edler Gesellschaftlicher Pfad" mit der richtigen Religion und der richtigen Bildung anfangen. Die zentrale Aufgabe des Internationalen Netzwerks Engagierter Buddhisten (INEB) ist es somit, die Rolle von Religion im gesellschaftlichen Wandel zu klären. Ob dieses Symposion dazu verhelfen kann? Viele Institutionen und Überlieferungen sowohl in unserer Religion als auch in der Welt unterstützen einen gesellschaftlichen Wandel nicht. Ich betrachte das als "falsche Religion".
Wirmüssen allerdings, zumindest für Buddhisten, betonen, daß Buddhismus eine Lebensweise ist, die zur Beendigung aller "auslöschbaren" Formen von "Leiden" führen soll, einschließlich der sozialen und strukturellen Erscheinungsformen. Wir müssen unsere Religionen solange säubern, bis sich dieses Verständnis durchgesetzt hat. Dann wird es möglich sein, daß die Menschen in der Religion nicht mehr einen Fluchtweg, nicht eine Ansammlung von Ritualen und Aberglauben, nicht etwas zum Sich-Gut-Fühlen, nicht eine Art Konditionierung und Gehirnwäsche sehen, sondern ein Mittel, um sich selber zu verändern und miteinander für eine bessere Gesellschaft zu arbeiten.
Dazu gehört die Bildung von Studiengruppen innerhalb unserer praktizierenden Gemeinschaften. Diese Gruppen sollen die Textgrundlagen der Schulrichtungen aus dem Blickwinkel unterschiedlicher sozialer Fragen studieren. Dabei geht es insbesondere um die schon angesprochenen Probleme und Strukturen sowie um die unten folgenden Bestandteile des Pfades. Einige Feministinnen haben beispielsweise mit Auslegung und Kritik von buddhistischer Literatur begonnen, um den Buddhismus von sexistischen und patriarchalischen Elementen zu befreien. Andere Wissenschaftler haben den Tipitaka nach ökologischen Grundsätzen untersucht. Ich versuche nun dasselbe in bezug auf Gemeinschaft (sangha, "Gemeinschaft"). Wir müssen durch Publikationen, Seminare und durch die laufenden Projekte versuchen, unterschiedliche Denker und Wissenschaftler in dieses Unternehmen einzubeziehen.
Nachdem nun die buddhistische Betrachtungsweise von sozialen Fragen geklärt ist, müssen wir einen kreativen Weg finden, sie in unseren Riten und Einkehrtagen zu verwenden. Thai-Mönche ordinieren beispielsweise Bäume und führen besondere Segenshandlungen für Dorfkooperativen durch. Traditionelle Geldsammelaktionen werden entsprechend verändert genutzt, um das Anpflanzen von Bäumen, um Reisbanken und andere Projekte zu unterstützen. Manche von uns arbeiten an der Entwicklung von "gesellschaftsbezogener Gruppenmeditation" ( "group social meditations "), wie ich es nennen möchte, wobei traditionelle Meditationsmotive direkt mit gesellschaftlichem "Leiden" verknüpft werden. Joanna Macy und andere haben die metta-Praxis ("liebende Güte") und die "Nehmen-und-Geben"-Praxis auf das Artensterben, die Abholzung der Wälder und auf atomare Fragen übertragen [metta-Praxis ist ein meditatives Herzenstraining zur Verströmung von liebender Güte in alle Himmelsrichtungen]. Thich Nhat Hanh und andere passen die buddhistischen Grundregeln an die moderne Wirklichkeit an. Wo Politiker Demokratie und Menschenrechte mit Füßen treten, können wir beispielsweise traditionelle Beerdigungszeremonien durchführen. Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.
Richtige Bildung Da die moderne Welt zunehmend säkular wird, kann Religion allein nicht mehr das Notwendige leisten, sondern wir müssen auch die Bildung dadurch verbessern, daß wir sie aus dem Griff ökonomischer Voraussetzungen, politischer Ideologien, enger religiöser Ideologien, aus dem Griff von Patriarchat und Pseudowissenschaft befreien. Wir müssen Bildung umwandeln in eine Form von Partnerschaft zwischen Menschen jeden Alters und Herkommens, jederlei Erfahrung, Fähigkeiten und Auffassungen. Kinder und Erwachsene müssen sich die Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen aneignen können, die zu ihrem jeweiligen Glück und Wohl beitragen, und sie müssen durch das Miteinanderteilen ihre Selbstachtung entwickeln.
Das Thema richtige Bildung habe ich ganz besonders mit Freunden aus Siam, den Philippinen und Indien erkundet. Wir möchten Wege finden, um den natürlichen Lernvorgang, der durch das Miß-Bildungssystem fehlgeleitet und verkümmert ist, zu unterstützen und zu fördern. Ich habe früher Jugendliche unterrichtet. Demgegenüber bezieht sich meine augenblickliche Erfahrung auf Erwachsene, hauptsächlich junge Mönche und Leute, die sich für die Gesellschaft einsetzen. Wir haben gewisse Erfolge damit erzielt, daß wir ein Gleichgewicht halten zwischen Inhalt und Vorgehensweise (eine Mango braucht ihre Schale), auch zwischen den Erfahrungen und Möglichkeiten der Lernenden und der Sachkundigen sowie zwischen äußerlicher und innerer Arbeit.
In unserem Ansatz bilden die "Vier Edlen Wahrheiten" Rahmen und Richtung, während die Einzelheiten von den Lernenden und ihren Bedürfnissen bestimmt werden. Grundelemente in unseren Methoden - nichts ist festgelegt, alles offen für Ideen - sind Gemeinwesenarbeit, Übungen der "Achtsamkeit", kreative soziale Analyse, Studienaufenthalte ebenso wie direktes Mitleben, die Praxis von Aktion - Reflexion, traditionelle Heilungsmethoden und Liturgiefeiern. Wir stützen uns auf eine Vielzahl von Quellen: Strukturanalysen, in den Philippinen entwickelte Methoden der Kulturanalyse, Feminismus, Ökologie, Paolo Freires Theorien zur Bewußtmachung, die Praxis der "Achtsamkeit durch Atmen" (anapanasati, Atemmeditation), Tai-Chi, Massage, die Erfahrungen von christlichen Basisgemeinden in Lateinamerika und den Philippinen 11), die Weisheit befreundeter Eingeborener und die spirituellen Lehren desBuddhismus und anderer asiatischer Religionen. Unser Motto heißt "integral-holistische Bewußtheit, Analyse und Aktion."
Bisher haben wir diesen Ansatz in Gruppen von 20 bis 40 Leuten für Zusammenkünfte von bis zu einem Monat verwendet. Besonders in den Philippinen sind wir dabei, noch längere Programme zu entwickeln. Gleichzeitig schaffen wir einen Pool von Sachkundigen - das heißt von Veranstaltern und Freunden aus ganz Asien, die unsere Hauptanliegen teilen.
Die Gruppe um Achan Sulak entwickelt gegenwärtig Sem Sikhalai, ein alternatives Institut auf der Grundlage spiritueller Werte [SEM heißt "Spirit in Education Movement", also Bewegung für Geist in der Bildung, Sikhalai (Pali-Thai) etwa "Hohe Schule für Moral, Herz-Geist-Einheit und Weisheit", gegründet 1995, vgl. Glossar].
Ein Netzwerk von Mönchen mit Namen Phra Sekhiyadhamma, ebenfalls in Siam, plant ein alternatives Bildungswerk, das auf den traditionellen Stärken des Thai-Buddhismus beruht und dabei neue Methoden und Wissensbereiche einbezieht [vgl. Beitrag von Swearer, Glossar]. Wir hier wollen jedoch keine neuen Institutionen und Einrichtungen schaffen. Unser Ziel ist eine phantasievolle Koppelung von bereits vorhandenen Arbeitsmöglichkeiten mit jungen Mönchen und Nonnen, damit dabei Programme so entworfen werden können, daß sie jeweils ihrer Lage und ihren Bedürfnissen entsprechen. Mit dem dann erworbenen Diplom sollen sie etwas anfangen können. Das Langzeitziel ist ein Asiatisches Institut für Änderungsprozesse (Asian Institute for Transformational Processes). Der Grundgedanke ist dem des Sekhiyadhamma-Bildungswerkes ähnlich, es soll aber für den Großteil Asiens dasein, alle religiösen Traditionen umfassen und eng mit den asiatischen Nicht-Regierungsorganisationen zusammenarbeiten.
Richtige Führung ["richtiges Bestreben"] Der zweite Aspekt des Gesellschaftlichen Pfades wäre, entsprechend dem "richtigen Bestreben" (samma sankappa), die richtige Führung. Führung meint, die Gesellschaft in die richtige Richtung zu leiten, nämlich zu Frieden, Mitgefühl, Gerechtigkeit, Weisheit, gegenseitiger Hilfe, Selbständigkeit und anderen Werten, die im Dhamma begründet sind. Führende Gestalten zeigen diese Richtung nicht nur auf und erläutern sie, sondern sie motivieren und inspirieren die Menschen auch, entsprechend zu handeln. Wenn dies bei der Mehrheit der Gesellschaft auch noch nicht geschieht, so können wir doch zumindest in unseren eigenen Gruppen, Gemeinschaften und den Organisationen für gesellschaftliche Veränderung damit anfangen.
Wir müssen den Begriff Führung aus dem Autoritätsanspruch lösen, bei dem Menschen über andere herrschen und deren Erwachsenwerden verhindern, und ihn in etwas Dhammagemäßes umwandeln. Mit buddhistischen Gruppen und Einrichtungen können wir beginnen. In Siam neigen wir dazu, den vom Staat eingeführten Vorbildern zu folgen, seien es nun Monarchien oder Militärdiktaturen, statt daß wir uns am Gehalt der "Ordensregeln" (Dhamma vinaya) ausrichten.
Zu meiner eigenen Orientierung habe ich versucht, aus dem Beispiel meines Lehrers zu lernen, der den Buddha zum Vorbild nahm. Achan Buddhadasa verließ sich mehr auf moralische Vollmacht als auf die Macht von Gesetz, Ökonomie oder Politik, obwohl Äbte in Thailand all das auch haben. Wie der Buddha versuchte er aufzuzeigen, was richtig ist und wie und warum es angepackt werden muß. Sein Ansatz war es, etwas zu erklären, zu motivieren und zu inspirieren, anstatt für andere zu entscheiden oder sie zu beherrschen. Er weigerte sich, ein Regelgebäude für [sein Kloster] Suan Mokkh auszuarbeiten, weil er fand, dies würde die Mönche kindisch und verantwortungslos machen.
Diejenigen von uns im Kloster, die sich auf ihn einließen, taten das, weil sein Leben und sein Tun mit seinen Worten übereinstimmten. Sein Beispiel von Selbstlosigkeit und Anteilnahme überzeugte uns davon, daß er keine geheimen Absichten verfolgte. Wenn unsere "Gruppen für buddhistische Praxis" und die "Gruppen für den Wandel der Gesellschaft" denselben Ansatz verwenden, dann werden unsere Mitglieder keine Führer mehr anerkennen, die Zwang ausüben, weder in unseren "Mönchsgemeinschaften" (sangha) noch in der Gesellschaft im ganzen.
Richtige Organisation und Regierung Führer können nicht ohne Organisation bestehen. Sie muß dann jedoch richtig sein. Es gibt da viele Möglichkeiten. Ich persönlich bevorzuge es, wenn sie dezentralisiert und lose strukturiert ist und bei Entscheidungsfindungen auf Übereinstimmung gesetzt wird. Das bedeutet, daß alle Glieder einbezogen sind und daß damit jeder für die Entscheidungen und ihre Durchführungverantwortlich ist. Wie immer aber der Entscheidungsprozeß abläuft, werden einzelne die Verantwortung für den Vollzug der Entscheidungen übernehmen. Deshalb brauchen wir außer richtiger Bildung zur Hervorbringung von Menschen, die wirklich an ihre Denk- und Entscheidungsfähigkeit glauben, auch unbedingt wirksame Kommunikation.
Auf einem Workshop im vergangenen Mai träumten wir in einer Gruppe die Vision eines grünen buddhistischen Siam. Nachdem wir verschiedene Dhamma-Prinzipien in Beziehung auf die bürgerliche Gesellschaft und lebendige, selbständige Gemeinschaften erörtert hatten, entwarfen wir die Vision eines Siam, wie es in 30 Jahren aussehen könnte. In einem "Neuen Siam" würden die Staatsgrenzen nicht mehr die wichtigste Grundlage der Verwaltung sein. Wir halten ein Gemeinschaftsmodell, das auf dem Subsidiaritätsprinzip beruht, für besser.
Alles, was auf kommunaler Ebene geplant und durchgeführt werden kann, wird auch dort getan. Dabei kann es sich je nach den Umständen um eintausend bis zehntausend Menschen handeln. Örtliche Schulen, Basisgesundheitsdienste, Theatergruppen, Museen und kleine Fabriken, die hauptsächlich für den lokalen Verbrauch produzieren - sie alle werden von den Gemeinden unterstützt und beaufsichtigt. Krankenhäuser, Informationszentren, Forschungsinstitute, Fernsehstationen, Organisationen, die den Handel zwischen den Gemeinschaften ermöglichen, sowie Betriebe mit anspruchsvollerer Technologie - alle diese Tätigkeitsbereiche sollten auf der mittleren Organisationsebene verwaltet werden, etwa in der Größe der gegenwärtigen Distrikte oder Provinzen. Die Kommunen müssen "Anteile" an diesen Körperschaften und Organisationen haben und Vertreter in deren Vorständen.
Über die Steuern und öffentlichen Einrichtungen würde nicht in einem Zwangssystem auf lokaler Ebene entschieden und dies dann an die nächst höhere Ebene vermittelt. Die Menschen werden die von ihnen gewünschten Dienstleistungen erhalten und auch bereit sein, dafür zu bezahlen. Die obere Organisationsebene wäre dann der regionale Lebensraum. Dieses Konzept wurde im Westen bereits ausführlich erörtert, und wir müssen nun über seine Auswirkungen auf Siam und Südostasien nachdenken. Möglicherweise können die Nationalstaaten und ihr politischer Apparat zusammenschrumpfen zu so etwas wie einem losen Rahmen für die Absprachen von Außenbeziehungen, für Einübung in gewaltlose Verteidigung und für Zusammenarbeit und für nicht viel mehr.
Ein Schwachpunkt dieses Modells liegt darin, daß es keinen Mechanismus zur Aufteilung des Wohlstandes aufweist zwischen den reicheren - aufgrund natürlicher Bodenschätze oder durch Vorteile aus Zeiten des alten Systems - und den ärmeren Gebieten. Auf jeden Fall aber würden die ärmeren Gebiete so eher in der Lage sein, das Vorhandene zu bewahren, als bei der derzeitigen Umverteilung von arm zu reich.
Richtige Kommunikation ["richtige Rede"] Der "richtigen Rede" (samma vaca) entspricht richtige Kommunikation. Als erstes müssen wir Kommunikationskanäle und -methoden entwickeln, mit deren Hilfe sich unsere "Gruppen für buddhistische Praxis" aufrichtig, freundlich, effektiv, nutzbringend und zum passenden Zeitpunkt miteinander verständigen können. Das heißt nicht, sich gegenseitig mit Informationen zu überfluten. Es bedeutet aber zu verstehen, worum es geht, und gute, wahrhaftige, brauchbare Informationen bereitzustellen, die auch wirklich verwendet werden können.
Es heißt umgekehrt auch Zuhören. Das bedeutet, daß wir in unseren Gruppen für eine anhaltende Diskussion sorgen, daß wir alle Stimmen hörbar machen, nicht mehr die Ansichten, Meinungen und Empfindungen anderer unterdrücken. Aus unseren Gruppen müssen alternative Mediennetzwerke des Volkes hervorgehen, die unter der Kontrolle der Gemeinschaft und Kommune vor Ort stehen. Alle Gruppen und Strömungen müssen Zugang zu den Kommunikationskanälen, den verschiedenen Medien haben.
Zuallererst müssen solche Kommunikationskanäle unseren "Gruppen für buddhistische Praxis" und den "Gruppen für Wandel der Gesellschaft" offenstehen und unterhalten werden, da wir ansonsten wohl kaum das kommunale Podium erreichen. Wir werden sonst einfach als "Gruppierungen" angesehen, denen es an ausreichender Geschlossenheit, an Vision und an Maßstäben mangelt. Schon Buddha sagte damals zu den Mönchen, daß regelmäßige Zusammenkünfte notwendig sind. Die Struktur der Zusammenkünfte hängt dann von Inhalt, Ziel und der jeweiligen Kultur ab.
Freunde in den Philippinen haben mir von der Drei-Wege-Kommunikation erzählt (ursprünglich in Deutschland entwickelt). Dabei finden jede Woche drei getrennte "Treffen" statt. Bei einem geht es um sachliche Fragen: Umgangmit einer Tagesordnung, um einen Tisch sitzen, Argumentationsstil. Ein zweites befaßt sich mit Gefühlen: gemütlich und informell, ohne Tagesordnung, keine richtigen oder falschen Urteile, Verletzungen und Freude dürfen gezeigt werden. Beim dritten geht es um Motivation und Spiritualität: weitergehende Fragen nach Sinn und Zweck, die Weltanschauung und innerste Herzensangelegenheiten müssen den langen Kampf begleiten und unterstützen. Das ist eine mögliche Herangehensweise. Jede Gemeinschaft muß diejenigen Formen entwickeln, die bei ihr funktionieren. 12)
Richtige Kultur ["richtiges Tun"] In Entsprechung zu "richtigem Tun" (samma kammanta) könnten wir als nächstes Bindeglied richtiges Gruppenverhalten benennen. Nicht nur unser persönliches, sondern auch unser gemeinsames Verhalten muß angemessen sein - wie wir uns in Gruppen und gegenüber "Außenseitern" verhalten. Gemeinde- und Arbeitsverpflichtungen sollten keinen ungebührlichen Streß verursachen. Die Arbeitskraft anderer sollte nicht ausgebeutet werden. Vor Gemeineigentum und ganz besonders vor Naturschätzen muß man Respekt haben. Mit Sexualität und Geschlechterrollen sollte vernünftig und gerecht umgegangen werden. Wir müssen jedem Suchtverhalten offen widerstehen und für ein Handeln eintreten, das zur Freiheit führt.
Unsere "Gruppen für buddhistische Praxis" und die "Gruppen für den Wandel der Gesellschaft" müssen kulturell stimmige Normen und Mechanismen entwickeln, um angemessene Verhaltensweisen zu fördern. Jede Gruppe muß ein Forum zur Diskussion von Verhaltensfragen anbieten. Nur so können wir ein prophetisches Modell für die Gesamtgesellschaft sein. Wir sind in allen Ländern eine Minderheit, selbst in sogenannten "buddhistischen Ländern". Unser aller Verhalten, insbesondere das unserer Führer, Sprecher und Lehrer, muß eine Anregung für Respekt, Freundschaft und Zusammenarbeit sein.
Thai-Freunde erzählten mir beispielsweise, daß vor der Übernahme der zuvor häuslichen Whiskyproduktion durch das Regierungsmonopol in den Dörfern sehr viel weniger getrunken wurde. Indem sie die Alkoholproduktion unterihren Einfluß brachte, machte die Thai-Regierung sie zu einer Industrie. Heute wird für Whisky und Bier überall Reklame gemacht. Können engagierte Buddhisten gegen solch unmoralisches Handeln auf seiten der Regierungen und der Unternehmen protestieren, besonders in der "Dritten Welt "? Die traditionelle Selbstversorgung würde den Leuten Geld, Gesundheit und glückliche Familien erhalten. "Selbstgebrannter" ist doch nicht so schlecht!
Thierry Verhelst vom "Süd-Nord-Netzwerk Kulturen und Entwicklung" gibt eine brauchbare Definition von Kultur: "...die komplexe Gesamtheit von Lösungen, die eine Gemeinschaft ererbt, übernimmt und erschafft, um mit den Herausforderungen ihres natürlichen und sozialen Umfeldes zurechtzukommen. Kultur ist unlösbarer Bestandteil des Alltags." 13)
Manche Freunde sehen den Schlüssel zur Kultur in den Werten, die ihr innewohnen. Die zugrundeliegenden Kulturformen wie Tanz, Kunst, Zeremonien, Kleidung, Sprache und Arbeitsweise bilden die kulturellen Werte, die sich dann auf Gestaltung und Ausdruck auswirken und ihre Motive darstellen. Wir müssen Methoden entwickeln, um die kulturelle Praxis in unseren Gruppen zu erkunden, damit wir sicherstellen können, daß sie auf guten Werten beruht. Partizipatorische praktische Untersuchungen über bekannte Fernsehshows, Werbung, Lieder, Kleidung, Geschlechterrollen, Arbeitsteilung und Organisationsmethoden können die zugrundeliegenden Werte aufdecken und sie einer Kritik anhand der Werte einer dhammagemäßen Gesellschaft zuführen.
Unsere Bewegung wird schließlich auch ohne die Mitwirkung von Künstlern keinen Erfolg haben können. In gemeinsamer Arbeit können wir Dhamma-Werte und soziales Handeln in der Gesellschaft verbreiten. Ortsübliche Unterhaltung, Lieder und Tanz - phantasievoll, eigenverantwortlich, bodenständig und als Träger von Dhamma-Werten - müssen die Ätherwellen und die Marktplätze zurückgewinnen.
Richtige Ökonomie ["richtiger Lebenserwerb"] Als nächstes betrachten wir die richtige Ökonomie. Sie entspricht dem "richtigen Lebenserwerb" (samma ajiva). Unsere Gemeinschaften, Organisationen und sozialen Bewegungen erfordern Mittel: für Nahrung, Kleidung, Arznei, Papier, Bleistifte, Kommunikationsgeräte u.a. Wir werden also Finanzmittel brauchen. Aber vor allem müssen wir die Art und Weise ändern, wiesolche Dinge hergestellt, verteilt und verbraucht werden. "Wir müssen eine Möglichkeit finden, Reiche und Arme so miteinander zu vereinen, daß sie gemeinsam an der Herstellung dessen arbeiten, was wir alle zu unserer Ernährung, unserem täglichen Bedarf und zu einem gesunden Leben benötigen. Und wiederum - alles, was darüber hinausgeht, könnte dann zum Wohle der Allgemeinheit verwendet werden. Das wäre die allerbeste Ökonomie - das wäre Dhamma-Sozialismus" (Buddhadasa Bhikkhu).
Wir müssen zu lernen beginnen, einfacher, wirkungsvoller und sparsamer bei Aneignung und Gebrauch von Rohstoffen zu sein. In der gesamten Gesellschaft müssen wir das Verständnis für Genügsamkeit wecken und eher zurückgeben als nehmen wollen. Eine wichtige Strategie dabei ist die Verringerung des Abstandes zwischen Erzeugern und Verbrauchern. Im Idealfall sollten sie einander kennen, so daß "liebende Güte" (metta) eine Rolle in der Ökonomie spielt - wie beispielsweise bestimmte Modelle von Verbrauchergemeinschaften in Japan oder von Stadtbewohnern, die Bio-Produkte einkaufen und im voraus bezahlen, um Bauern ein festes Einkommen zu sichern.
Gemeinden müssen sich wieder auf die Produktion zur Selbstversorgung verlegen. Der bloße Verkauf der eigenen Arbeitskraft und der Rohstoffe wird niemals eine "Wirtschaft" oder Gerechtigkeit oder Glück schaffen. Ländliche Gemeinden werden von Monokulturen zu integriertem Landbau überwechseln, von chemischer Landwirtschaft zu organischem Anbau und von einer Industriementalität zu einem Denken, bei dem das Land und die Leute im Mittelpunkt stehen - entsprechend dem Slogan "Laßt Land und Leute beisammen." (Keep the people and the land together) 14) Gemeindewälder werden auch für Nahrung, Fasern, Arzneien und für landschaftliche Schönheit auf einer nachhaltigen und örtlich geregelten Basis sorgen. Im übrigen werden alle daraus folgenden ökologischen Handlungsweisen sich wirtschaftlich günstig auswirken.
Was die städtischen Wirtschaftsformen angeht, so überlasse ich diese schwierige Aufgabe des "Umbaus", die ja radikal sein muß, denen, die in den Städten leben. Ich hoffe, sie können den Grundsatz "klein ist schön" einführen und damit aufhören, Verschmutzung und Armut aufs Land, in die Wälder und die freie Natur zu verfrachten.
Am Ende bleibt uns noch eine Hauptfrage. Wie stehen Buddhisten zu Eigentum? Ist privates Eigentum gerechtfertigt? Nach der "Disziplin" (vinaya) der "Gemeinschaft der Mönche" (bhikkhu-sangha) beschränken Mönche ihren persönlichen Besitz auf das Nötigste. Auch führende Laienanhänger habenden größten Teil ihres Reichtums fortgegeben, was aber nie gefordert wurde. Und wie denken wir?
Richtige Ökologie Ich glaube, daß das wichtigste ökologische Handeln in der kommunalen Kontrolle über die Ressourcen ihres Gebietes besteht. Auch wird es von Nutzen sein, wenn die regionale Bio-Sphäre auch den Rahmen für die politische Verwaltung abgibt. Auf diese Weise würde es schwierig werden, ökologische Notwendigkeiten einfach zu übergehen. Ländliche Kommunen werden ihre unmittelbare Umgebung säubern, indem sie auf die Verwendung von Pestiziden und chemischen Düngemitteln verzichten, durch die Erde, Wasser, Luft und Menschen vergiftet werden. Die Ackerflächen werden von Gemeindewald umgeben sein, der entsprechend den örtlichen kulturellen und ökologischen Gegebenheiten verwaltet wird. Diese Entwicklungen finden in Siam und anderswo bereits statt. Die tätige Unterstützung durch buddhistische Lehrer kann ein Segen für solche Aktivitäten sein, weil damit den wirtschaftlichen und ökologischen Anreizen auch spirituelle hinzugefügt werden.
Zwischen den die Kommunen umgebenden Gemeindewäldern werden wild belassene, wenig genutzte Naturschutzzonen liegen. Dadurch wird die Artenvielfalt erhalten, und sie werden Fortpflanzungsstätten aller Arten von Lebewesen sein. Straßen werden nach Möglichkeit nur durch die Gemeindewälder führen und nicht durch die Naturschutzzonen - Fahrverbot. Die Ordination von Bäumen, die Einrichtung von "Buddha-Kreisen" (Buddha mandala) und "Buddha-Äckern" (Buddha kheta), das Wiederbeleben der Tradition vom Freilassen und Füttern von Tieren, das Mitnehmen von Kindern zu "Waldprozessionen" (tudong) und die Durchführung von Meditations-Nachtwachen - all das kann dazu beitragen, diese Stätten und die dort lebenden Wesen zu beschützen.
Richtiges Spiel ["richtige Anstrengung"] An Stelle von "richtiger Anstrengung", "richtiger Energie" (samma vayama) möchte ich "richtiges Spiel" vorschlagen. Die Art, wie wir ausruhen und uns und unserer Gesellschaft neuen Antrieb geben, muß ausgeglichen und gesund sein und normalerweise Freude machen. Ich finde es notwendig, zumindest auf dem Weg zu einer dhammagemäßen Gesellschaft, daß wir gesunde und schöpferische Formen des Spiels haben. Sie sollen Freundschaft, Vergnügen und Freude bringen. Sie sollen uns die Möglichkeit geben, etwas zu lernen und unsere Begabungen zu entfalten. Dabei geht es auch um Lieder, Gesellschaftsspiele, Kunst, Tanz und Sport, sofern sie Dhamma-Werte fördern. 15) Wenn wir diese Fähigkeiten nicht phantasievoll entwickeln, wenn wir nicht Künstler für unsere Sache begeistern können, werden wir nie eine gesellschaftlich wichtige Kraft werden. In einem voll ausgereiften Dhamma-Sozialismus wird dann vielleicht alles bisher Besprochene spielerisch vor sich gehen. Aber ich denke, an dieser Stelle müssen wir erst einmal achtsam über Rechtes Spiel nachdenken. Wir sollten uns Buddhas Hinweis auf Meditationsspiele (jhanakila) in Erinnerung rufen. So nämlich hat der Buddha gespielt.
Richtige Aufsicht ["richtige Achtsamkeit"] Richtige Aufsicht entspricht "richtiger Achtsamkeit" (samma sati). 16) Jede Gesellschaft braucht Mechanismen zum Beobachten der Vorgänge, deren viele verschiedene Faktoren wir besprochen haben. Wir brauchen einzelne und Gruppen, die das Geschehen verfolgen, und jeder muß Zugang zu diesem Aufsichtssystem haben. Wir wollen nicht einige wenige, die andere überwachen, sondern wir alle zusammen wollen das Ganze überwachen. Dessen ungeachtet wird es aber Gruppen und einzelne geben, die unser Vertrauen haben und die diese besondere Pflicht übernehmen. Es wäre wunderbar, wenn sie den Gemeinschaften buddhistischer Praxis (engl.: practice sanghas) angehörten, um damit sicherzustellen, daß diese Vertrauenspersonen integer sind und einfühlsam arbeiten. Und natürlich müssen die Systeme so transparent sein, daß es überhaupt möglich ist, sie zu überwachen.
Zur Beobachtung der Funktionäre und Mitarbeiter unserer "Gruppen für buddhistische Praxis" und "für den Wandel der Gesellschaft" müssen wir so etwas wie "Ombudsleute für Moral" einführen. Das können Gruppen von Ältesten und geistlichen Führern sein, die fähig sind, gesellschaftliche Entwicklungen zu verfolgen und das Verhalten von Führern, Funktionären und Behörden zu beobachten. Auf allen Ebenen von Planung und Verwaltung werden sie verfassungsgemäß befugt sein, Beschwerden entgegenzunehmen, Untersuchungen durchzuführen und entsprechende Sanktionen festzulegen. Sie tragen zur Absicherung bei, daß Führer und Funktionäre durchschaubar, verläßlich und wirklich repräsentativ sind. Der Schlüssel dazu ist ihre Redlichkeit und daß sie von der Gemeinschaft anerkannt sind. Wenn wir dieses Vertrauen auf kommunaler Ebene wiederbeleben können, dann können wir auch auf Reformen der oberen Ebenen drängen. Eine Gefahr, die wir vermeiden müssen,liegt in engstirnigen Interessen, wie zum Beispiel die [rechte US-amerikanische Lobby-Organisation für Präsidentschaftswahlkämpfe] "Moral Majority", die die Moral für politische und sektiererische Zwecke benutzt.
Welches sind nun die gesellschaftlichen Entsprechungen der vier Grundlagen der Achtsamkeit? Ein Werkzeug der richtigen gesellschaftlichen Achtsamkeit ist richtige Sozialforschung. Und wodurch wird sie "richtig "?
- Erstens muß der Zweck korrekt sein: Es muß um gesellschaftliche Harmonie und geistliches Wachstum der einzelnen gehen anstatt um gesellschaftliche Kontrolle.
- Zweitens muß die Methode korrekt sein: die Objekte der Forschung müssen gleichzeitig ihre Subjekte sein, das heißt, es muß ein partizipatorischer Prozeß von Praxis und Forschen sein.
- Drittens muß solche Forschung auf die Kernfragen der Gesellschaft zielen, da sie ansonsten lediglich ablenkt, wie es oft in Forschungen von Regierung und Wissenschaft zu beobachten ist. Ein Haufen Zahlen kann ebenso leicht der Verwirrung wie der Aufklärung dienen.
- Und letztlich ist es entscheidend, daß die Ergebnisse aller Forschung zu den betroffenen Gemeinschaften und Kommunen zurückgespiegelt werden im Sinne der Kodierungen von Freire.
Richtige Gemeinschaft (sangha) und richtige Solidarität ["richtige Konzentration"] Das letzte Element des Edlen Achtfachen Pfades, nämlich "richtige Konzentration" (samma samadhi), könnte sich mit richtiger Gemeinschaft oder richtiger Solidarität decken. Auf die Einzelperson bezogen ist "Konzentration" (samadhi) ein einheitliches, ausgeglichenes, klares Bewußtsein. [Traditionell als nicht-dualistischer Versenkungszustand in der Meditation verstanden.] Kollektiv gesehen ist es Einheit, Harmonie und Zusammengehörigkeit innerhalb einer Gruppe oder einer Gemeinschaft. Das ist in unserem modernen Individualismus nur unter großen Schwierigkeiten zu entfalten. Ich glaube deshalb, daß wir alle, die wir einem gesellschaftlichen Wandel im buddhistischen Sinne verpflichtet sind, besondere Aufmerksamkeit darauf verwendenmüssen, wie wir Bindungen untereinander in Gemeinschaft entwickeln, pflegen und erhalten können. Und nicht nur in unserer persönlichen Gemeinschaft, sondern auch zwischen dieser und anderen Gemeinschaften.
Eine bewußt buddhistische Gemeinschaft sollte großes Gewicht auf die vom Buddha geäußerten Grundsätze für gemeinschaftliches Leben legen, insbesondere auf die sechs saraniya dhamma [Prinzipien des Zusammenlebens]. Dies sind sechs Faktoren, die für eine harmonische, glückliche und gesunde Gemeinschaft notwendig sind.
Die ersten drei besagen, daß alles, was wir mit unserem Körper, mit Worten oder Denken tun, von Güte und Freundlichkeit (metta, "liebende Güte") motiviert und durchdrungen sein soll. Die Tätigkeiten untereinander sollten aus "liebender Güte" motiviert sein, das Reden unter uns sollte von "liebender Güte" motiviert sein, und nach bestem Vermögen sollten selbst unsere Gedanken aus "liebender Güte" motiviert sein. Weiter oben habe ich richtige Kommunikation erörtert. Richtige Riten und richtige Arbeit werden dann ebenfalls von "liebender Güte" erfüllt sein.
Das vierte Stück unter den sechsen ist das Teilen dessen, was man als Gaben oder Profite erlangt hat (sadharana bhogi, "Teilen von ehrlichem Gewinn"). Es mag zwar weiterhin privates Eigentum geben, aber dieser Umstand wird aufgewogen durch die Freude am Teilen. Je mehr geteilt wird, desto mehr haben wir gemeinsam. So etwas kann jedoch nicht gesetzlich geregelt werden. Kinder müssen es am Beispiel lernen. Jeden Freitagabend, wenn seine Neffen ihn besuchten, gab der ehrwürdige Meister Buddhadasa dem älteren der Brüder ein paar Früchte oder Plätzchen und sagte, er solle sie mit den Jüngeren teilen. Der Ältere empfand seine Rolle als eine Ehre, und die Jüngeren erhielten ihren gerechten Anteil. Wenn wir diesen Grundsatz langsam in unserem je eigenen Tempo übernehmen, müssen wir als Erwachsene geduldig miteinander sein.
Das fünfte Stück sind "gemeinsame moralische Grundsätze" (sila samannata, "Verhaltensregeln untadelig in der Gemeinschaft einhalten"). Das bedeutet, daß man gemeinsame Maßstäbe und Auffassungen über Verhalten, Lebensstil, Recht und Unrecht hat. Sobald sich eine Situation verändert, müssen Richtlinien angepaßt werden. Deshalb muß jede Gemeinschaft im Umgang mit ihren Maßstäben einen ständigen Prozeß gemeinsamer Reflexion aufrechterhalten. Neuankömmlinge, seien es Kinder oder Erwachsene, müssen in diesen Prozeß eingeführt werden. Es darf niemandem gestattet sein - auch Lehrern nicht - diesen Prozeß selbst in die Hand zu nehmen. Ich wiederholenoch einmal, daß bereits eine Vielzahl von Modellen und Ansätzen für diese Art der Arbeit entwickelt worden ist, und verschiedene Freunde des Internationalen Netzwerks Engagierter Buddhisten sind Fachleute darin, Gruppen bei der Einführung zu helfen.
Das letzte saraniya dhamma ist eine "gemeinsame Sichtweise" (ditthi samannata). Sichtweise umfaßt hier unsere Vision vom Leben und der Gemeinschaft, aber auch unser Glaubenssystem und unsere geistige Grundstruktur sowie die Theorien und Standpunkte, aufgrund derer wir handeln. Das allerwichtigste aber ist unsere Sichtweise des Buddha-Dhamma. All das muß nicht von Mensch zu Mensch gleich sein. Entscheidend ist, daß wir genügend Übereinstimmung und grundsätzliche Ausrichtung haben, um einen gemeinsamen Weg gehen zu können. Eine Vision muß nicht festgelegt oder starr sein. Sie sollte sich entwickeln und wandeln, so wie es die Gemeinschaft auch tut.
Ich glaube, das wichtigste und nötigste Element einer Gemeinschaft, die bewußt miteinander umgeht - anders als in der Familie, die man nicht wählen kann - besteht darin, eine gemeinsame Vision und ein Ziel zu haben, die uns zusammenhalten. Wir dürfen uns nicht einfach auf einen Lehrer oder einen Text verlassen. Wir müssen in Gruppen lernen und häufig miteinander diskutieren, um den Prozeß von Reflexion und Entdeckungen-machen voranzutreiben. Jede Gemeinschaft hat einen tiefen Sinn und Zweck, auch wenn die Menschen diesen besonderen Sinn noch nicht erkannt haben. Letzten Endes muß jede Gemeinschaft, die erfolgreich bestehen will, ihren Sinn entdecken und ihm getreu folgen.
Abschließende Betrachtungen über den Pfad Wir haben also nun versucht, den Edlen Achtfachen Pfad anhand von solchen Begriffen auszulegen, die eine Bedeutung für die gesamte Gesellschaft haben. 1. Richtige Religion 2. Richtige Bildung 3. Richtige Führung 4. Richtige Organisation und Regierung 5. Richtige Kommunikation 6. Richtige Kultur 7. Richtige Ökonomie 8. Richtige Ökologie 9. Richtiges Spiel 10. Richtige Aufsicht 11. Richtige Gemeinschaft und Richtige Solidarität.
Ist das eine lohnende Anstrengung? Hilft uns das, im Buddha-Dhamma tiefere Wurzeln zu schlagen? Macht es unsere gesellschaftliche Rolle und Verantwortlichkeit deutlicher? Kann es das Interesse von Buddhisten auf sich ziehen, deren Praxis oder soziales Engagement schwach ist? Helfen Sie mit, Antworten auf diese Fragen zu geben.
Fähigkeiten, die im Menschen liegen Die Analyse des Buddha von "Leiden" und von dessen Beendigung ist auch eine Analyse der menschlichen Fähigkeit zur Spiritualität. Das Ziel, die höchste Entfaltung unserer Spiritualität, wird in der Dritten Edlen Wahrheit ausgedrückt. Diese Entfaltung ist aber ebenso in der Vierten Edlen Wahrheit enthalten, was jedoch oft übersehen wird. Wenn wir immer davon reden, den Edlen Achtfachen Pfad zu erschließen, müssen wir auch erkennen, daß alle Faktoren des Pfades natürlicherweise bereits in uns selbst vorhanden sind, wenn auch unvollständig entwickelt.
Mit Hilfe dieser Beobachtung können wir unsere sittlichen, geistigen und spirituellen Möglichkeiten erkennen und analysieren. Genauso kann mit den Möglichkeiten von sozialen Bewegungen verfahren werden. Die menschliche Geschichte ist mehr als bloß ein böser Traum. Es ist manches erreicht worden. Wir haben durchaus etwas dazugelernt. Wir können das hier nicht im einzelnen untersuchen, aber jedenfalls müssen wir mit mehr Sorgfalt die Möglichkeiten einschätzen lernen, die in uns, in unserer Gemeinschaft und in unserer Kultur bereits vorhanden sind.
Im Verlauf dieses Vortrages haben wir auf vielfältige Weise angesprochen, wie die unterschiedlichen Faktoren des Pfades voneinander abhängig sind. Auch das spiegelt die Wirklichkeit des Pfades wider. Alle Faktoren sind untereinander abhängig, keiner steht für sich allein. Wir befinden uns im Anfangsstadium und mühen uns noch damit ab, Anfangsprojekte und Initiativen zu betreiben. Wenn wir weitere Schritte machen, müssen wir jedoch nach Wegen suchen, wie sich die verschiedenen Faktoren in uns selbst, in unseren Gruppen und Gemeinden und in unserer Bewegung ineinander integrieren lassen.
Dieser kurze Blick auf den Pfad zur Dhamma-Gesellschaft deutet darauf hin, daß es viele Möglichkeiten für weiteres Nachdenken und Experimentieren gibt. Ich hoffe, daß wir mit der systematischeren Erforschung dieser Bereiche die Arbeit des Internationalen Netzwerks Engagierter Buddhisten fortsetzen können. Viele unserer Ideen sind bisher unklar und ungeprüft. Weist dasdaraufhin, wie jung unsere Bewegung noch ist? Oder wie lose unser Netzwerk noch geknüpft ist? Zeigt es das ungeheure Ausmaß der Aufgabe? Wie dem auch sei, lassen Sie uns klein anfangen und uns über kleine Erfolge freuen. Lassen Sie uns einfach etwas gemeinsam anpacken und bei der Arbeit voneinander lernen.
Ich sehe keine Schuld darin, daß diese Ideen hier nur in solcher Unvollständigkeit und Begrenztheit angesprochen sind. Ich bin davon überzeugt, daß mit all dem kein einzelner fertigwerden kann. Das Zeitalter der Einzelpropheten ist vorüber. In unserer Zeit müssen Lösungen gemeinsam erarbeitet werden. Diesist das Zeitalter für Prophetische Gemeinschaften. Ich hoffe, daß die Elemente des "Edlen Elffachen Pfades", wie ich ihn nannte, von Mitgliedern des Internationalen Netzwerks Engagierter Buddhisten umgesetzt, überprüft, vervollständigt und weiterentwickelt werden. Dann können bessere, das heißt nachvollziehbare und erfolgversprechende Formulierungen gefunden werden. Wir müssen weiterhin miteinander teilen und uns austauschen.
Achan Buddhadasa betonte häufig, daß der Edle Achtfache Pfad in sich selbst nicht genügt. Die acht Faktoren sind lediglich die Kette der Ursachen, und wir haben es nicht geschafft, bevor nicht die Kette der Früchte entsteht. Daher erinnerte er uns daran, mit Ernst die zehn Glieder des "Richtig-seins" (sammatta) zu bedenken. Obwohl der Buddha im Tipitaka die zehn Glieder des "Richtig-seins" oft gelehrt hat, hat die Theravada-Tradition die beiden letzten Faktoren weitgehend übersehen.
Wenn der Pfad einmal vollständig und korrekt entwickelt ist, werden ein "richtiges Wissen aus Einsicht" (samma nana) und "richtige Befreiung" (samma vimutti) entstehen. Das richtige Wissen aus Einsicht würde dann bedeuten, daß wir Wahrheit und Geheimnis harmonischen Zusammenlebens im tiefsten Sinne kennen. Richtige Befreiung würde dann die dhammagemäße Gesellschaft bedeuten, die frei ist von Selbstsucht und eigennützigen Gesellschaftsstrukturen, von Unterdrückung, von Entfremdung und von "Leiden". Am Ende wird sich die Richtigkeit unseres engagierten buddhistischen Pfades darin zeigen, daß er uns richtige Einsicht und richtige Befreiung bringen kann.
Vielen Dank, daß Sie diesem langen Vortrag mit so freundlicher Geduld gefolgt sind. Ich freue mich über jeden Kommentar, jede Kritik und jeden Vorschlag von Ihnen.
Übersetzung aus dem Englischen: Gisela Köberlin
Fußnoten:
- [Die Vorbereitungen für dieses im modernen Buddhismus erstmalige Bemühen um eine internationale sozialethische Theoriebildung für buddhistisches Engagement benötigten drei Jahre.]
- Da es beschwerlich wäre, stets genau anzugeben, welche Gedanken direkt von Achan Buddhadasa stammen und welche meine eigenen Ausführungen sind, ist die Bemerkung nötig, daß manche meiner Anschauungen von ihm nicht öffentlich vertreten wurden. Ich bin jedoch überzeugt, daß sie mit dem Geist seiner Lehren auf einer Linie sind. [Der Verfasser war für Buddhadasa langjährig der Dolmetscher und Übersetzer für Thai und Englisch und der Vertraute und wird einer der besten Kenner seiner Lehre sein.]
- Manche Leute vertreten den Standpunkt, daß Sozialismus ein für allemal tot ist und daß es sinnlos ist, ihn weiterhin zu erörtern. Das Ideal des Sozialismus von Achan Buddhadhasa ist jedoch nicht das, was in Osteuropa zugrunde gegangen ist. [Vgl. hierzu besonders den Beitrag von Swearer, dessen Originalquelle: The Quest for a Just Society auch einen ausführlichen Aufsatz von Santikaro über Buddhadasas ethisches Konzept enthält.]
- Ein subtilerer Ansatz, der zu ausführlich und lang für diese Abhandlung ist, benutzt die Verkettungen der abhängigen Entstehung zur Untersuchung der inneren und äußeren Strukturen aller Arten der"Befleckung" oder Ich-Zustandes. Die in jeder Struktur aufzudeckenden Grundelemente sind phassa (Erfahrung oder Berührung), vedana (Empfindung), sanna (Benennen und Beurteilen), tanha (Begehren), upadana (Anhaften), bhava (Feststellen und Werden) und jati (Geburt des Ich und der Selbstsucht). Sie alle sind verwurzelt in avijja (Unwissenheit), dem grundlegenden Mangel an Geistesgegenwart und Weisheit. Ich entwickle diesen Ansatz derzeit in anderen Abhandlungen.
- Buddhadasa Bhikku, Until the World is with Peace. (Unveröffentlichtes Manuskript), S.9.
- A.a.O., S.5.
- In der frühen Zeit der American Medical Association wurde z. B. viel Geld aufgewandt, um die Lobbies zur Vernichtung der Naturheilkundeverfahren zu unterstützen. Damit sollte ein Monopol für die Mitglieder der AMA geschaffen werden.
- [Der Verfasser bespricht im Folgenden einige ethische Grundbegriffe an Hand des Edlen Achtfachen Pfades, bei dem die "richtige" Praxis das Merkmal ist, vgl. im Glossar den Begriff samma. Der Verfasser macht das Wortspiel, dieses "richtig" häufig zu verwenden, ohne seinen Hintergrund als religiösen terminus technicus sprachlich kenntlich zu machen. Er ist jedoch mitzuhören. "Richtig" wird in der Regel nur dort in einfache Anführungszeichen ("...") gesetzt, wo im Original samma steht.]
- In Waking Up erläutert Charles Tart den Begriff "concensus trance" und auf welche Weise uns die Übungen der Geistesgegenwart in den Weltreligionen aus dieser Bewußtlosigkeit herausführen.
- Vgl. die sieben sappurisa-dhammas (Tugenden eines Ehrenmannes): 1. dhammannuta (Kenntnis des Gesetzes, der Ursachen), 2. atthannuta (Kenntnis der Bedeutung, des Zweckes und der Folgen), 3. attannuta (Kenntnis seines eigenen Selbst), 4. mattannuta (Mäßigung), 5. kalannuta (Kenntnis der gehörigen Zeit), 6. parisannuta (Kenntnis des Freundeskreises oder der Gesellschaft) und 7. puggalannuta (Kenntnis der verschiedenen Personen).
- [Zur christlichen Tradition dieser Basisgruppen siehe Beitrag von Swearer, Anm. 10.]
- Ich habe auch von interessanten Praktiken in Plum Village [in Frankreich, Zentrum des Meisters Thich Nhat Hanh] gehört, kann aber nichts Genaues darüber sagen.
- Thierry Verhelst, South-North Network Cultures and Development Research Program. Economic Organisation and Local Cultures, Brüssel: South-North Network, 1994. [Das Netzwerk entstand aus der Konferenz der Europäischen Ökumenischen Organisation für Entwicklung (EECOD) in Chantilly 1985 über "Die kulturelle Dimension des Entwicklungsbegriffes im Abkommen von Lome III". Es ist offen für alle, die für Gerechtigkeit und für das Recht der Menschen und Völker kämpfen, ihre eigenen Wege zu gehen. Wichtigste Aktivitäten: Herausgabe eines regelmäßigen Informationsblattes, internationale Treffen, stellvertretendes Eintreten für alle, die in den Gesellschaften des Nordens keine eigene Stimme zu Gehör bringen können; Sitz: B-1040 Brüssel, rue Joseph II 172; deutscher Kontakt: Evang. Akademie Bad Boll. ]
- Von einer Plakette des Projektes Land-Haushalterschaft aus Minneapolis, Minnesota, USA ( "Land Stewardship Project ").
- [Dies ist auch eine Neuinterpretation der klassischen Mönchsregel, die den Verzicht auf Vergnügungen aller Art beschreibt.]
- [Der Verfasser nimmt hier eine politische Uminterpretation des Begriffes sati vor, der traditionell eine meditative Achtsamkeit meint.]
Links zum Thema:
Buddhadasa and Dhammic Socialism
INEB Think Sangha
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